Lubutka Rundbriefe

Hamburg, im April 2002

Liebe Freunde,

unserer letzten Mitgliederversammlung Anfang April hat Mascha aus Monino teilgenommen. Sie gab uns einen ausführlichen Bericht über die Situation in Monino, den wir in diesem Rundbrief sinngemäß wiedergeben möchten. wenn Monino weiterhin in ständiger Veränderung begriffen ist und man kaum je von einer völlig stabilen Lage sprechen kann, scheint im Moment in Monino ein Zustand zu herrschen, den sich alle Beteiligten schon lange wünschen: In Monino leben einzelne, voneinander getrennte Familien, bzw. Hausgemeinschaften, die durch gemeinsames Arbeiten und Feste feiern sowie in gegenseitiger Hilfe, Beratung und Zuwendung miteinander verbunden sind. (Die Beziehungen mit Alona beschränken sich auf ein möglichst friedliches nachbarschaftliches Verhältnis.) beiliegende Plan soll einmal wieder einen überblick über die räumlichen und "familiären" Verhältnisse in Monino geben.

Die Hausgemeinschaft Nr. 4 ist noch sehr neu: Vitalik hat bereits früher lange Zeit in Monino gelebt und geholfen. (Er wollte eine Steinwerkstatt einrichten). Er ist nun mit Lena (aus der Kreisstadt Andreapol) und deren Sohn Vlad nach Monino (Ljachovo) zurückgekehrt und bildet zusammen mit ihnen die Kernfamilie von "4". Bei ihnen lebt Vitaliks ehemaliger Klassenkamerad Stas und Lis, der nach dem Tod seiner deutlich älteren Frau aus Andreapol zurückgekehrt ist. Zunächst nur vorübergehend ist der entwicklungs- und wachstumsverzögerte und hyperaktive Grischa in diese Familie aufgenommen worden. Ihn hatte Alona ebenso wie den ca. 18jährigen Kolja aufgenommen, musste dann aber für mehrere Monate weggefahren. Es ist noch unklar, ob die junge Familie die Kraft haben wird, diesen Jungen mit zu tragen. Kolja lebt allein in dem kleinen "Französischen Haus", isst und arbeitet aber zusammen mit "4".

Billi, die für ein Jahr bei Nelka gewohnt und diese unterstützt hatte, ist im November nach Moskau zurückgefahren. Obwohl Mascha den Eindruck hat, dass es so insgesamt besser für Nelka ist, kam diese zunächst nicht gut alleine ihrem Sohn Tjoma zurecht. Versuche, um des Kindes willen auf Nelka einzuwirken, zeigten, dass zunächst Nelka selbst die Bedürftige war. Vlad, der von Anfang an ein freundschaftliches Verhältnis zu ihr besaß, besucht Nelka nun oft und spricht mit ihr. Dieses Interesse an Nelka und die Zuwendung wirkten Wunder: Sofort brachte Nelka die Kraft auf, sich angemessen um ihr Kind zu kümmern. Es ist jetzt wichtig, dass Vlad dieses Vertrauen nicht enttäuscht, sondern regelmäßig Zeit für die Gespräche mit Nelka aufbringt. Nelka erhält dadurch einen inneren Halt und eine indirekte Führung. Seit Mascha mit der Erzieherausbildung begonnen hat, gibt es in Monino einen "Kindergarten", den Tjoma (7), Tusja, Nikola, (Matvej) und immer häufiger Tjoma (3) besuchen. Wenn die Kinder draußen spielen ist er jetzt immer dabei, ebenso Grischa.

Landwirtschaft (2 Pferde, 1 Kuh, 1 Rind, Hühner) ist inzwischen auf ein solches Maß reduziert, dass sie zur Selbstversorgung ausreicht, aber keine unnötige Belastung für Monino darstellt. Marina melkt und füttert im Moment die Kuh und erfüllt ihre Aufgabe sehr zuverlässig. Die Eigenversorgung mit Kartoffeln und Gemüse gelingt bereits seit einigen Jahren. Mascha und Vlad aus ihrem Garten die Sommergäste versorgen, bleibt oft kein Feingemüse zum Konservieren. Aber hier schaffen Edik und seine Frau Shenja Abhilfe, denn sie betreiben eine "Mustergärtnerei": Edik baut (z. T. mit theoretischer Unterstützung von seiner Frau) verschiedenste Gemüse an, wobei er immer Neues ausprobiert. Letztes Jahr gab es neben Möhren, Rote Bete, Rettich, Rüben, verschiedenen Kohlsorten, Kürbissen, Zucchini, Zwiebeln, Knoblauch, Gurken und Tomaten auch Erbsen, Bohnen, Auberginen, Paprika und verschiedenste Kräuter. Shenja ist Meisterin im Konservieren, wovon alle Moninoer profitieren. Dieses Jahr wollen die beiden die Menge steigern und weitere Gemüsesorten ausprobieren. Mit der Herstellung und dem Ausbringen von Präparaten haben sie ihren Möglichkeiten entsprechend begonnen. kommt aus Moskau, ist ausgebildete Grundschullehrerin und hat Kurse zum biologisch-dynamischen Landbau besucht. Sie fühlt sich sehr wohl in Monino und möchte unbedingt dort bleiben, wenn es irgendwie möglich wird, die Schulausbildung ihres Sohnes zu gewährleisten.

Da Verständigung und gegenseitige Hilfe wie z. B. Kinderbetreuung, Selbstversorgung nun auf einer freundschaftlichen Basis funktionieren - im letzten Winter fertigte eine "Brigade" bestehend aus Vitalik, Stas, Kolja, Vlad und Kirjuscha für alle Häuser inklusive der Banja ausreichend Brennholz an - kann die brennende Frage der Schulbildung nun von den Betroffenen Shenja, Mascha und Vlad (Tjoma und Tusja) gemeinsam angegangen werden. In Russland kann die Schulpflicht auch außerhalb der Schulen wahrgenommen werden, es müssen lediglich bestimmte Prüfungen an den Schulen abgelegt werden. Die drei sind evtl. bereit, ihre Kinder auch zeitweise in die Schule in Chotilizi zu schicken, was jedoch gerade für den Schulbeginn nicht wünschenswert ist. Abgesehen davon ist es auch technisch nicht möglich, die (kleinen) Kinder das ganze Jahr über in die Schule zu bringen: Im Winter müssten die Kinder bei Dunkelheit mit dem Pferdeschlitten jeweils 5 km zur Schule gebracht und wieder abgeholt werden. Im Moment sind die Moninoer mit Tanja Leonova, einer Waldorflehrerin mit heilpädagogischer und psychologischer Zusatzqualifikation aus Moskau, im Gespräch. Diese kommt jeden Sommer nach Monino und war bereits mit Schulklassen dort. Ihre drei Kinder haben inzwischen die Schule abgeschlossen, so dass sie die Mutter nicht mehr unbedingt um sich brauchen, aber während der Ausbildung noch wirtschaftlich von ihr abhängig sind. Es wird überlegt, ob Tanja - evtl. auch epochenweise - den Schulunterricht für Tjoma und Tusja übernehmen könnte. Tanja ist grundsätzlich bereit und interessiert, wäre während ihres Aufenthaltes in Monino jedoch auf Spenden angewiesen, um den Unterhalt für ihre Kinder und ihre Eltern bezahlen zu können. Sehr wichtig wäre auch eine Weiterbildung und Intensivierung der Schulbildung für Marina, die sich weiterhin interessiert und lernwillig zeigt. Marina kann inzwischen lesen und versucht, nach Gehör selbstständig zu schreiben. Sie liest abends für sich und tagsüber den Kindern Märchen vor, die geduldig zuhören, wie Marina sich noch durch jedes einzelne Wort kämpft.

Von den sechs ehemaligen Waisenhauskindern Edik, Lis, Nelka, Oksana, Lilka und Marina, die 1993 mit ca. 16 Jahren nach Monino kamen, lebt im Moment nur Oksana mit ihrem Freund außerhalb von Monino in einem Vorort von Moskau, wo sie eine Wohnung besitzen. Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt durch Kinderbetreuung. In berufsbegleitenden Blockseminaren macht sie - zusammen mit Mascha - die Ausbildung zur Waldorferzieherin. Sie wird wahrscheinlich keine eigene Kindergartengruppe führen können, aber eine gute Mitarbeiterin werden. Die Arbeit mit kleinen Kindern liegt ihr sehr. Die anderen Jugendlichen zeigen noch stärker, dass es diesen Menschen ein Leben lang schwer fallen wird, ganz auf eigenen Füßen zu stehen. Das deutlich höhere Alter der Ehefrauen und die Beziehung dieser Bewohner von Monino zu Vlad - dem "Vater für alle" - zeigt, dass sie durch ihre elternlose Kindheit wahrscheinlich ein lebenslanges Bedürfnis haben werden diese Beziehung nachzuholen. Mascha sagt, dass man eigentlich schon ein Buch über die Entwicklung dieser Jugendlichen und die eigenen Beobachtungen an ihnen schreiben müsste, da es Erfahrungen, wie sie in Monino gemacht werden kaum gibt: Menschen mit Behinderungen jeglicher Art wurden aus der Gesellschaft ausgeschlossen oder zumindest von ihr ferngehalten.

Nicht nur an Lilkas Krankheit und Tod ist deutlich geworden, dass der Gesundheitszustand der Jugendlichen nicht deren Alter entspricht, sondern dem alter Menschen vergleichbar ist. Sie leiden alle unter Verdauungsstörungen. Marina hatte ein Magengeschwür. Im Winter wurde ihr ein Gallenstein entfernt, so dass sie nun wieder etwas mehr Lebensfreude zeigt. Marina hatte sich nach Lilkas Tod völlig in sich zurückgezogen. Lis konnte von Anfang an nur humpelnd gehen. Nachdem sein Bein jetzt nach einem Bruch nicht richtig zusammengewachsen ist, bereitet ihm schon der Weg nach Monino Schwierigkeiten. In Monino wird nach einer (operativen) Lösung gesucht. Dem autistischen Kirill, der schon seit 1991 in Monino lebt, geht es offenbar gut: Er hatte schon über ein Jahr keine Anfälle mehr und lernt und hilft, wo er kann. Mascha betont, dass die Kindergartenvormittage ohne Kirills Hilfe im Haushalt nicht möglich wären. Er sorgt unermüdlich für Wasser und Brennholz im Haus, putzt und schneidet Gemüse. Meist reichen ein paar Anweisungen durch Handzeichen (Kirill ist taubstumm) von Mascha aus.

Seiner Funktion als Ort der sommerlichen Erholung von der Großstadt Moskau und für Jugendlager ist Monino inzwischen eine Anlaufstelle für regelmäßige Klassenfahrten geworden. Moskauer Schulklassen führen hier Wald- und Gartenpraktika durch. Im Juni wird die dritte deutsche Schulklasse erwartet. letzte Winter hat gezeigt, dass Monino noch in einem weiteren Bereich an Bedeutung gewinnt, nämlich als Zufluchtsort für psychisch kranke und schwache Jugendliche aus Moskau. Zwei Mädchen aus dem Moskauer Freundeskreis waren jeweils mit ihren Vätern als Betreuung für einige Wochen in Monino. Sie werden von einem anthroposophischen Arzt in Moskau betreut. Außerdem leben einen großen Teil des Jahres andere Moskauer ärzte in Chotilizi, stellen hier selbst Arzneimittel her und betreuen gleichzeitig Monino. In Russland ist es immer noch äußerst schwierig, eine akzeptable psychische Behandlung zu finden, (die die Menschen nicht noch kränker macht), so dass die meisten Menschen eine Behandlung ohne Fachmann einer klinischen Betreuung vorziehen.

Mascha bedankt sich im Namen aller Moninoer für die Spenden und die gedankliche Begleitung, die dieser Gemeinschaft nun schon so lange bei ihrer Entwicklung helfen.

Sternia Böttcher

 zur Titelseite / на главную
 Verzeichnis von Briefen / Каталог писем
 unser Fotoarchiv / Фотографии
 Linke / Ссылки
 monino(@)earthling.ru

 
Hosted by uCoz