Lubutka Rundbriefe

Frühjahr 1995

Liebe Freunde und Unterstützer von Lubutka!

Wir möchten Ihnen nachträglich Frohe Ostern wünschen und mit dem russischen Ostergruß "Christoß woskreß" ("Christus ist auferstanden") diesen Rundbrief beginnen.

Zu dieser Zeit hat der Frühling in Monino Einzug gehalten. Nach dem langen Winter, der bis in den April hinein mit viel Schnee und Minusgraden geherrscht hat, beginnen die Menschen dort aufzuatmen und ihren Blick auf die Arbeit im Freien zu richten. An erster Stelle steht nun die Bestellung der Gärten und die Aussaat für das kommende Jahr. Dazu wird der Hengst Prinz vor den Pflug gespannt und so die Erde für die Saat in den drei Gärten vorbereitet.

Der Ertrag davon bildet für die Bewohner in Monino eine sehr wichtige Nahrungsgrundlage über das Jahr hinweg.

Das Osterfest gibt allem den Auftakt. Es ist das wichtigste und größte christliche Fest in Rußland und wird auch in Monino besonders gefeiert. Ein russischer Brauch, der auch dort lebt, ist das Zubereiten der Osterspeise - der Paßcha ( ein fester "Kuchen" aus Quark und Eiern mit Früchten, Nüssen und Butter ). Die Paßcha ist nach der Fastenzeit die Festspeise am Ostersonntag und für die kommende Zeit und wird in Rußland vom Popen in der Kirche geweiht.

Im alten Rußland war es Brauch, daß die jungen Mädchen am Ostermorgen bei Sonnenaufgang am Brunnen schweigend das Wasser schöpften, dieses ebenfalls in der Kirche weihen ließen und es dann unter die Hausikone stellten. Dieses Osterwasser gilt als heilkräftig für das ganze Jahr.

Auch die sehr kunstvoll verzierten bunten Ostereier spielen eine große Rolle. Auf den Dörfern zogen früher die Kinder singend von Haus zu Haus und erbettelten sich diese Eier. Einem geizigen Bauern, der nichts gab, wurde das beste Schwein aus dem Stall geschleppt...

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Die neuen Häuser

Seit dem letzten Sommer stehen in Monino wie berichtet zwei neue Häuser. Wie in dieser Gegend Rußlands üblich sind es Blockhäuser.

Der französische Architekt Lucien hatte die Pläne für beide Häuser gemacht und im Frühjahr `93 sollte der Bau beginnen.

Als es nicht gelang, eine russische Zimmermannsbrigade zu finden, begannen wir in Eigenarbeit mit dem ersten Srub. Wir, das war unsere "Monino-Brigade" , bestehend aus Wofka, Arsenij, Florian und mir.

Srub heißt der aus Stämmen gezimmerte Rohbau eines Blockhauses. Zunächst standen wir vor einem Haufen wild durcheinanderliegender Stämme. Diese stammten noch aus der Abholzaktion vom vorigen Jahr und waren in keinem guten Zustand. Viele Löcher zeugten von zahlreichen Holzschädlingen, die dort Unterschlupf gefunden hatten. So mußten wir erst gutes von schlechtem Holz trennen und eine Auswahl für unser Bauholz treffen.

Anfangs unter der Anleitung eines Russen und später allein bauten wir nun das Blockhaus. Unsere Werkzeuge waren das Beil und große Handsägen. Diese eigneten sich besonders gut, um zusammen mit dem Betreuten Kyrill zu sägen, was ihm große Freude bereitete.

Man muß sich vorstellen, die Stämme haben einen Durchmesser von bis zu 40cm und Längen über 8m. So taten wir uns am Anfang schwer, unser Holz an die richtigen Stellen zu bewegen. Erst als wir nicht mehr versuchten, die Stämme zu heben, sondern sie nur noch mit Stangen rollten, ging es einfacher.

Das russische Blockhaus besteht meistens aus 14 übereinander liegenden Balkengebinden, die an den Ecken verbunden sind.

Wir wählten für unseren Srub eine Schwalbenschwanzverbindung. Neben den Eckverbindungen muß noch die Längskerbe ausgehauen werden. Diese Kerbe ist dazu da, daß keine Löcher zwischen den Stämmen bleiben.

Wir arbeiteten uns nun von Gebinde zu Gebinde aufwärts bis etwa zur Hälfte der notwendigen Höhe. Da hier das Arbeiten schon unangenehm wird, nimmt man einfach das oberste Gebinde herunter und baut ebenerdig weiter bis nach oben. Der Bauplatz des Blockhauses ist meistens nicht endgültiger Standplatz des Hauses. Deshalb wird jeder Stamm numeriert, um später die richtige Reihenfolge zu erhalten. Fenster und Türen werden erst heraugeschnitten, wenn das Haus steht.

Als wir mit unserem Srub fast fertig waren, fand sich glücklicherweise eine zweite "Brigade", so daß auch das zweite Haus im Sommer '93 aufgestellt werden konnte. Damit waren aber erst die Rohbauten fertig und der Innenausbau konnte beginnen. Heute ist auch dieser so gut wie beendet.

Die Häuser haben das äußere Bild Moninos verändert. Sie überragen alle älteren Gebäude und sind schon von weitem zu sehen.

Bleibt noch zu hoffen, daß sie bald auch im Winter voll bewohnbar sein werden, daß wir eine Lösung der Wärmedämmung finden, die auch dem russischen Winter standhält.

Michael Geyer

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Die Betreuten in Monino

Wie bereits im vorangegangenen Rundbrief soll an dieser Stelle wieder über einen der Betreuten in Monino berichtet werden.

Lis

über die erste Zeit mit Lis schreibt Aljona:

"Lis haben wir 1988 kennengelernt. Er war damals in der 3. Klasse meiner Gruppe. Ich war in Chotilize Erzieherin. Schon damals mit 12 Jahren war er nicht Andrej Babikin, sondern Lis (Fuchs). So nannte er sich. Liska (Füchsen) nannten ihn zärtlich seine Freunde. Er war rothaarig.

Einige Momente von damals sind mir noch im Gedächtnis. Alle Regeln des Internats verletzend, liefen wir nachts bis zur Hüfte durch den Schnee und machten lange nächtliche Ausflüge mit den Skiern. Lis kam aufgrund starker motorischer Probleme mit den Skiern nicht zurecht, er blieb zurück, fiel ständig hin, ein Ski fuhr ihm über den anderen. Auf dem Rückweg, als alle schon müde waren, wurde Lis von allen Seiten beschimpft und zottelte weinend hinterher, während sich seine Ski, Stöcke, Arme und Beine zu einem großen Knäuel verknoteten. Schließlich warf er die verhaßten Ski in den Schnee und Flüche mischten sich mit Schluchzen.

Bis dahin waren sie stets nur tagsüber, unter Aufsicht und innerhalb des Internatszaunes Ski gefahren. Nachts im Wald war es nun furchtbar unheimlich und alle drängten sich an mich. Nur der unglückliche Lis lief abgeschlagen hinterher. Am nächsten Tag waren zwei, Lis und Seika(Hase), krank. Ich saß bei ihnen und erzählte ihnen Geschichten. Was sie später einmal werden würden und wen sie heiraten würden. Sie liebten dieses Spiel sehr wenn sie krank waren. Später kam die Krankenschwester, die ich gebeten hatte, Fieber zu messen, denn nur Fieber konnte die beiden vom Holzhacken auf den Hof befreien. Die Krankenschwester jedoch schimpfte nur, wir hätten ja nachts nichts im Wald verloren, und schickte die beiden, ohne sie anzusehen, auf den Hof. Am nächsten Tag brachten sie mir plötzlich beide ein Bild. Seika hatte einen großen See gemalt, Lis einen Birkenwald. Es war sein allererstes Bild. Nachdem Mascha und ich das Internat verlassen mußten und die von uns betreuten Jugendlichen auf andere Internate verteilt worden waren, bekamen wir noch oft Briefe von Lis. Und ab und zu sogar wieder ein Bild. Einmal malte er Monino inmitten gerade aufgeblühter Birken..."

Vier Jahre später, im August 1993, brachten Mascha und Aljona die ersten vier "Internatsjugendlichen" nach Monino: Die beiden Mädchen Oksana und Nelka, sowie Lis und einen zweiten Jungen, der aber nur kurz in Monino blieb. Eigentlich hatten sie nur Oksana und Lis mitbringen wollen, aber Lis bestand darauf, daß er nur von Burashevo fortgehen würde, wenn Nelka ebenfalls nach Monino kommen dürfe.

Zu Beginn waren besonders die Schwierigkeiten mit den beiden Jungen sehr groß, die sich dem Leben in Monino völlig entzogen und zeitweise den ganzen Tag im Zelt lagen und mit einem alten Kassettenrecorder Musik hörten. Mascha und Aljona beschlossen, die beiden Jungen zurück ins Internat zu bringen, um in kleineren Schritten die Arbeit mit ihnen in Monino aufzubauen. Eine Zeit lang lebte Lis illegal im Internat von Burashewo. Da aber schaltete sich Nelka mit- wie es Aljona selbst schreibt - großem diplomatischem Geschick ein und bat darum, daß Lis wieder nach Monino kommen dürfe. Nicht zuletzt diesem Einspruch ist es zu verdanken, daß Lis seit Herbst '93 wieder in Monino lebt.

Der 17-jährige Lis ist neben Oksana der Unauffälligste in der Gruppe der ersten vier "Internatsjugendlichen". Zunächst macht er einen scheuen, etwas zurückgezogenen Eindruck, auch wenn er oft die Ruhe z.B. an Festtagen durch Wutausbrüche und Flüche störte. Er leidet stark unter Nervosität, was bei ihm bis ins Physische geht und durch oft unkontrollierte Bewegungen, unregelmäßigen Atem und Zuckungen in der rechten Gesichtshälfte zum Ausdruck kommt. Auch leidet er stark unter Schlafstörungen, was ihm nicht selten ein blasses Aussehen gibt. Er hat stark verkrümmte Füße, was seine Bewegungsfähigkeit erheblich einschränkt.

Zu Beginn hängte sich Lis immer eher an die Aktivitäten der anderen an, vielleicht auch, weil er im Umgang mit den Tieren nicht so geschickt ist wie Oksana, Nelka oder Edik.

Eine andere Seite seines Wesens ist die große Neugier und der Wissensdurst, den er entfalten kann. Im Winter '94 wollte er von mir unbedingt Gitarre spielen lernen und konnte hierbei unermüdlich sein im Fragen und Ausprobieren. Schon bald zeigte sich, daß er eine große Geduld dabei entwickelte, wenigstens ein, zwei Gitarrengriffe zu erlernen, was ihm bei seinen Motorik-Störungen schwer genug fiel.

Ganz ähnlich zeigte er sich bei einer Tätigkeit, der er im Sommer '94 mit viel Eifer nachging: Dem Verlegen der gesamten Elektrik in den neuen Häusern. Mit Sergeij, dem Elektriker, arbeitete Lis oft stundenlang völlig vertieft und konzentriert. Man merkte ihm den Stolz an, die meisten Arbeitsschritte bald selbständig ausführen zu können.

So zeigte sich im vergangenen Sommer ein ganz anderer Lis: Er kam immer mehr aus sich heraus, entwickelte vor allem einen unglaublich trockenen, liebenswerten Humor und eine gesunde Selbstironie.

Manchmal ist Lis geradezu "gentlemanlike". Als er und Nelka mit uns im Winter '94 einmal von Monino nach Tver fuhren, umsorgte er sie aufmerksam wie ein Bruder. Ich bekam den Eindruck von zwei Menschen, die sich in ihrem schweren Schicksal getroffen haben und sich nun aneinander festhalten, einer den anderen unterstützend. Aus dieser Kraft heraus hat Lis inzwischen eine große Sozialfähigkeit entwickelt, er arbeitet mit am ausdauerndsten, und nicht selten steht er schon früh auf, um für alle das Frühstück zu machen. bei Wowka und Vitalik hat er Geologie, Mineralogie und Steinbearbeitung gelert. Seine erste Steinschleifarbeit hat er sogleich verschenkt...

Florian Rothacker

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