Lubutka Rundbriefe

Februar 1995

Liebe Freunde und Unterstützer von Lubutka!

Wir freuen uns, Ihnen wieder einen Rundbrief vorlegen zu können, der ein Bild von dem vermitteln soll, was sich in Monino und in der Arbeit der Lubutka - Hilfe entwickelt hat. Wir wünschen viel Freude beim Lesen!

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Neues aus Monino

Es hat sich sehr viel getan in Monino: zwar sind die beiden neuen Häuser noch kaum bewohnbar, da die Isolierungen den heftigen Frösten des russischen Winters noch nicht standhalten, und da muß im kommenden Sommer noch sehr viel getan werden. Doch dafür hat einer der langjährigen Mitarbeiter von Lubutka, Vitalik, seinen alten Traum verwirklicht und in einem der zugekauften Häuser eine Werkstatt zur Bearbeitung von Edelsteinen eingerichtet. Vitalik ist Juwelier und Geologe und holt seine Steine selbst aus dem Kaukasus, dem Altai und dem Ural. Nun soll bald die Arbeit beginnen. Vier Jugendliche (Oksana, Edik, Lis und Romanovitsch) werden bei ihm in die Lehre gehen. Doch bevor sie dies dürfen, müssen sie bei Maschas Bruder Vovka, der auch Geologe ist, theoretischen Unterricht besuchen und Prüfungen in Gesteinskunde ablegen.

Diese Veränderung hat das Verhältnis zum Unterricht bei den Jugendlichen grundlegend erneuert. Während noch im letzten Winter die Durchführung des Schulunterrichtes am nachhaltigen Boykott der Betroffenen scheiterte, lernen sie nun mit Interesse und Lust: außer Geologie noch Mathematik und Biologie bei Aljona, Russisch bei Mascha, und Romka lernt außerdem Deutsch bei denen, die sich zufällig in Monino befinden und dieser Sprache mächtig sind.

Außerdem wird so in nächster Zeit das erste Schrittchen zu einer wirtschaftlichen Selbständigkeit getan werden, wenn mit dem Verkauf der Lubutka - Juwelierarbeiten begonnen werden kann.

Seit Oktober leben nun Maschas Bruder Vovka, seine und aller Freundin Charlotta und ihr gemeinsames Töchterchen Dascha (6 Monate) in Monino. Dies ist eine wichtige Bereicherung für alle Seiten: Vovka ist unentbehrlicher Bauleiter an allen Häusern und wie gesagt Geologielehrer, Charlotta, seit jeher die Herrin der Pferde in Monino, pflegt mit viel Erfahrung das Großvieh (Kuh und Pferde). Außerdem tragen die beiden viel zum Lebensrhythmus und zur Ordnung in Monino bei. Und für die kleine Dascha ist es natürlich ein Glück, nicht in einer überfüllten Moskauer Etagenwohnung aufwachsen zu müssen.

Eine weitere sehr erfreuliche Entwicklung ist, daß Lubutka zunehmend Anerkennung bei den staatlichen Behörden findet. Im Herbst sorgte in der Landeshauptstadt Tver eine Ausstellung mit Aquarellen der Jugendlichen und Erwachsenen aus Monino für großes Aufsehen. Sie wurde mittlerweile an drei Orten in Tver und außerdem im Fernsehen gezeigt. Infolgedessen berichtete eine Wochenzeitung aus Tver in einem vierseitigen Artikel über Lubutka und druckte ebenfalls Bilder und Gedichte von dort. Die Behörden wurden aufmerksam; und nun scheinen sich plötzlich Schleusen zu öffnen für den Erhalt von lang beantragten Waisenrenten, für die überschreibung von Grund und Boden, etc. . Ende Februar wird eine Delegation von Regierungsbeamten in Monino erwartet...

Für uns Deutsche scheint es immer wieder eine schwierige Bewußtseinsanstrengung zu sein, in dem russischen Durcheinander, das in Monino und in der ganzen Entwicklung von Lubutka herrscht, einen Arbeitsprozess zu erkennen. So ging es auch mir immer wieder. Als ich in diesem Februar von meinem Kurzbesuch in Monino zurückkehrte, hatte ich plötzlich ein neues Gesicht von Lubutka gesehen. Ein ernstes, arbeitsames, das in eine konkrete Zukunft schaut.

Florian Leiber

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Die Betreuten in Monino

In Zukunft wollen wir in jedem Rundbrief über einen der betreuten Jugendlichen ausführlicher berichten. Um jedoch einen kleinen überblick zu schaffen, seien hier noch einmal alle genannt:

Mädchen:

*Oksana (18 Jahre, in Monino seit August 93),
*Nelka (19, seit Aug. 93),
*Marinka (17, seit April 94),
*Lilka (17, seit April 94);

Jungen:

*Kyrill (13 Jahre, in Monino seit 1991),
*Edik (18, seit Aug. 93),
*Lis (17, seit Aug. 93),
*Romka (14, seit Sept. 94),
*Romanovitsch (17, seit Jan. 95),
*Kolja (20 (?), seit Feb. 95).

Lilka

Lilja Alexandrovna - ihr Rufname ist Lilka - lebt seit dem Frühjahr 1994 in Monino. Zusammen mit ihrer Freundin und Leidensgenossin Marinka wurde sie aus demselben staatlichen Internat Burashevo geholt, aus dem auch die vier Jugendlichen stammen, die seit dem Sommer 93 in Monino leben. Mascha und Aljona kannten die beiden Mädchen schon lange und hatten bereits mehrmals überlegt, sie zu sich zu holen. Immer wieder stellten sich jedoch Schwierigkeiten in den Weg, und Mascha und Aljona konnten sich lange nicht dazu durchringen, diese zusätzliche Belastung auf sich zu nehmen. Als jedoch die anderen vier "Internatsjugendlichen" darauf drängten, wurden die beiden nach Monino geholt.

Lilka ist 17 Jahre alt - von ihrem äußeren und ihrem ganzen Verhalten her erinnert sie jedoch eher an eine 12jährige. Sie hat von allen am offensichtlichsten an schweren Hospitalismusschäden zu leiden. Im sozialen Miteinander durchlebt sie ein ständiges Auf und Ab: An normalen Tagen bildet sie gemeinsam mit Marinka einen sonnigen fröhlichen Gegenpol zu den übrigen halbwüchsigen Rabauken.Halb bewußt, halb unbewußt haben die beiden als Paar ein großes Komikertalent. Allen gegenüber hilfsbereit und stets auf der Suche nach Kontakten zu Menschen und Tieren stürmen sie durch Monino. Lilka ist dabei stets ein bißchen pfiffiger als Marinka und demonstriert ihre überlegenheit über die Freundin gerne (z.B. indem sie sie in den Ziegenstall einschließt und sich triumphierend davor in die Sonne legt). An schlechten Tagen kann es jedoch so gehen, wie Aljona beschreibt:

Zeitweilig ertönt in Monino eine ganz andere russische Sprache: das ist Ljulek (Lilka), die auf ihre ganze Umgebung virtuos und schrecklich flucht. Hysterie. Aus ihrem weichen Kindermund fliegen Dämonen heraus, manchmal eine Stunde, manchmal zwei. Dämonen der Erinnerungen - eine lange Reihe von Kinderheimen und Internaten, die sich im Dämmer des Bewußtseins verliert: ein Heer von Ammen und Erzieherinnen und Burashevo, der Ort, den sie nicht nur einmal intensivst kennenlernen mußte. Die ganze Gruppe von Erwachsenen, die einstimmig und unbeugsam ihr Schicksal entschieden hat - das ganze Leben hinter dem Drahtgitter eines Invalidenhauses zu verbringen - die erinnert wohl kaum, daß es eine Lilja Alexandrovna überhaupt gibt; die erinnert weder ihr Gesicht noch ihre Stimme. Dafür erinnert Lilja selber viel - obwohl sie das besser vergessen müßte:

"...Kinder sterben sehr oft. Wir haben dann geholfen und auf die Liegenden geschaut. Du guckst hin, und der ist schon fertig... hat den Mund aufgemacht und die Seele ist durch den Mund herausgeflogen." (Zitat von Lilka)

Oft gelingt es Mascha jedoch schon, solche Hysterieanfälle durch ein kleines Ablenkungsgespräch zu beruhigen.

Mascha ist für Lilka und Marinka auch die Lehrerin. Ganz langsam üben sie Schreiben, Zählen, Monate, Tage und Uhrzeit. Außerdem versucht Mascha, sie im Malen von jahrelang eingeübten Stereotypen wegzuführen, damit sie frei und phantasievoll mit den Farben umgehen lernen.

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Unser neues Unterstützungskonzept

Finanziell steckt Lubutka momentan in einer schwierigen Lage. Bisher waren es immer nur Kyrill, Aljona und Mascha die ständig dort lebten, und für die ein gewisser Lebensunterhalt erbracht werden mußte. Heute nun sind es 15 Personen, die in Monino leben und für die in irgendeiner Weise gesorgt werden muß.

Da Lubutka derzeit noch keine staatliche Unterstützung erhält (es stehen etwa 100,- DM monatliche Waisenrente für Lilia und Marina in Aussicht) und auch andere private Quellen die erforderlichen Mittel beiweitem nicht mehr aufzubringen vermögen, haben wir uns entschlossen, zu versuchen, durch einen regelmäßigen Betrag den Menschen in Lubutka eine gewisse finanzielle Grundlage zu schaffen, um zumindest die dringendsten Kosten des täglichen Lebens bestreiten zu können. Hierfür haben wir bis heute regelmäßige Spenden in Höhe von insgesamt etwa 500,- DM monatlich zugesagt bekommen. Dafür sei an dieser Stelle den Spendern herzlichst gedankt! In Monino hat man sich wirklich sehr gefreut, als wir den ersten Betrag von je 500.- für Januar und Februar überreichten.

Um Ihnen ein Bild davon zu verschaffen, welche Kosten in Monino wofür anfallen, haben wir die untenstehende Auflistung abgedruckt, die Mascha Sulimowa zu diesem Zweck zusammengestellt hat. Wie Sie anhand der Zahlen sehen können, ist der monatliche Mindestbedarf mit den 500,- DM beiweitem nicht gedeckt, wenngleich ein guter Anfang geschafft ist. Deshalb möchten wir Sie bitten, uns weiterhin zu helfen, neue Unterstützer für Lubutka zu gewinnen.

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Voraussichtliche monatliche Lebenshaltungskosten

(Berechnungsgrundlage: Ausgaben, Preise und Wechselkurse im Dezember 1994)

  Minimum, mit dem man gerade noch leben könnte Reale Ausgaben im Dezember 1994
1. Transportkosten (Benzin, Ersatzteile, Gehalt für den Fahrer) Rubel: 500.000 DM: ca. 250 Rubel:1.000.000 DM: ca. 500
2. Lebensmittel Rubel:1.115.000 (Getreide, Brot,Speiseöl, Fleisch, Zwiebeln, Zucker, Süßes) DM: ca. 555 Rubel:1.500.000(links aufgeführte Lebebsmittel plus Tee, Kohl, äpfel, Fisch) DM: ca. 750
3.Verschiedenes (Medikamente, Bücher, Kleidung, Gebrauchsgegenstände, Geschenke) Rubel: 200.000 DM: ca. 100 Rubel: 500.000 DM: ca. 250
4. Offizielle Rechnungen (Strom, Telefon, Steuern) Rubel: 200.000 DM: ca. 100 Rubel: 200.000 DM: ca. 100
5. Dienstreisen (Zugfahrten nach Tver’ und Moskau, Geschenke) Rubel: 300.000 DM: ca. 150 Rubel: 500.000 DM: ca. 250
6. Löhne für Personen, die nicht zur Lebensgemeinschaft gehören (Handwerker, Traktorist, Tierarzt etc.) Rubel: 400.000 ? DM: ca. 200 ? Rubel: 500.000 DM: ca. 250

 

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