Uber Monino im Internet

Planung und Durchführung einer Klassenfahrt nach Russland (Moskau und Waldaihöhen) mit Schülern einer 10.Klasse der Max-Reinhardt-Oberschule (Gymnasium).

Darstellungsschwerpunkt: Entwicklung von interkultureller Kompetenz

Schriftliche Prüfungsarbeit zur Zweiten Staatsprüfung für das Amt der Studienrätin vorgelegt von Nina Ahrens - Studienreferendarin - 3. Schulpraktisches Seminar Hellersdorf (S)

Berlin, den 30.09.2002

1. EINLEITUNG

1. 1. Relevanz des Themas
1. 2. Das russische Kinderdorfprojekt "Monino"
1. 3. Aufbau der Arbeit

2. THEORETISCHER HINTERGRUND
2. 1. Geschichte des Begriffs Interkulturelle Kompetenz
2. 2. Bedeutung für den Fremdsprachenunterricht
2. 3. Veränderte gesellschafts-politische Situation
2. 4. "Eigenes" vs. "Fremdes"

3. ANSATZ FÜR DIE REISE
3. 1. Mögliche Ansätze für das interkulturelle Lernen auf einer Schülerreise
3.1.1. Ansatz von NICKLAS
3.1.2. Ansatz von CHRIST
3.1.3. Ansatz von THOMAS
3.1.4. Arbeit mit Fragebögen
3.1.5. Das Problem der Messbarkeit
3. 2. Konkreter Ansatz für die Reise
3.2.1. Analyse von Situationen
3.2.2. Vermittlungsarbeit
3.2.3. Schülergemäße Besichtigungen
3.2.4. Projektarbeit
3.2.5. Nachbereitung
3. 3. Tabellarischer Überblick über den geplanten Ablauf

4. DIE VORBEREITUNGSZEIT
4. 1. Organisatorische Voraussetzungen
4. 2. Konkrete inhaltliche Vorbereitung

5. DARSTELLUNG UND ANALYSE
5. 1. Tabellarischer Überblick der durchgeführten Reise
5. 2. Analyse ausgewählter Situationen
5.2.1. das "Ungewohnte"
5.2.2. "Das andere als anders akzeptieren"
5.2.3. "Fähigkeit zu experimentierendem Verhalten"
5.2.4. "Angstfreiheit vor dem Fremden"
5.2.5. "Die Fähigkeit, Konflikte auszutragen"
5.2.5.1. "Gemischtkulturelles Kochen"
5.2.5.2. "Dorfdisco"
5. 3. Weitere Situationen
5.3.1. Das Lagerfeuer
5.3.2. Der Stadtspaziergang
5. 4. Die besondere Rolle der Vermittlung
5.4.1. Zugfahrten
5.4.2. Kartenspielen
5. 5. Die Reflexionstreffen
5.5.1. Reflexionstreffen I
5.5.2. Reflexionstreffen II

6. DIE NACHBEREITUNGSZEIT
6. 1. "Verbesserungstipps für eine nächste Reise"
6. 2. Gemütlicher Ausklang mit den Eltern und Geschwistern
6. 3. Erlebnisberichte
6. 4. Wirkungen/ Folgen der Fahrt
6.4.1. Kurzvortrag auf der Gesamtkonferenz
6.4.2. Niederschlag im Sprachunterricht
6.4.3. Geplanter Inforaum am Tag der Offenen Tür
6.4.4. Planung einer erneuten Fahrt nach Monino

7. GESAMTREFLEXION

8. Literaturverzeichnis

"Wenn du hinkommst, ist es erst mal schrecklich, aber wenn du wieder da bist, ist es irgendwie voll cool." [1]

1. EINLEITUNG

1.1. Relevanz des Themas

Die heutige Gesellschaft stellt sich als zunehmend multikulturell dar. Es finden vielfältige Migrationsprozesse statt und die globalisierten Welt, in der wir heute leben, verschiebt die Perspektive zunehmend von der nationalen auf die internationale Ebene. Die Bedeutung von interkultureller Kompetenz für die Verständigung zwischen Vertretern verschiedener kultureller Zusammenhänge und für die friedliche Kommunikation in Konfliktsituationen wächst, für das gesellschaftliche Zusammenleben im Inland sowie für die internationale Kooperation der verschiedenen Staaten und Staatengemeinschaften untereinander.

Die Berliner Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport fordert Lehrerinnen und Lehrer zum Engagement für die "Herausbildung interkultureller Kompetenz in der Schule" auf und weist darauf hin, dass "der Erfolg in der interkulturellen Bildung /.../ einen wichtigen Bestandteil der Präventionsarbeit für Toleranz und gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit darstellt." [2] Die SVS definiert interkulturelle Kompetenz als Schlüsselqualifikation und nennt sie kein Unterrichtsfach, sondern ein "fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip" , das es in (fast) allen Fächern zu berücksichtigen gilt. [3]

1.2. Das russische Kinderdorfprojekt "Monino"

Aufgrund meiner langjährigen persönlichen Kontakte zu dem russischen Kinderdorfprojekt "Monino" entstand die Idee, dorthin eine Klassenfahrt zu organisieren. "Monino" ist ein kleines, abgelegenes Dorf in den Waldaihöhen (ca. 400 km nordwestlich von Moskau), wo zwei Moskauer Erzieherinnen vor 15 Jahren eine Initiative für betreutes Wohnen gegründet haben. In vier Familien leben aufgenommene Kinder und Jugendliche mit den eigenen Kindern der Familien zusammen bzw. einige ehemals betreute Jugendliche leben inzwischen selbständig in einem kleinen Blockhaus und haben teilweise eine eigene Familie gegründet. Bei den Aufgenommenen handelt es sich vor allem um elternlose Jugendliche oder Sozialwaisen (Alkoholismus der Eltern), es sind aber auch ein leicht geistig retardiertes Mädchen, Marina, und ein stark autistischer, taubstummer Junge, Kirjuscha, dabei.

Insgesamt leben in Monino zehn junge Menschen, die kein anderes Zuhause hätten. Die vier Hausgemeinschaften haben jeweils ihren eigenen Tagesablauf (vielfach mit eigenen Kleinkindern), sind aber als Dorfgemeinschaft miteinander verbunden.

In Monino gibt es eine lange Tradition von großen Sommerlagern, bei denen bis zu hundert Menschen aus Moskau (und anderen Städten) in Monino zusammenkommen, um einerseits das Projekt zu unterstützen und mitzuarbeiten und andererseits, um sich von der Stadtluft zu erholen und sich in gemeinsamen Workshops künstlerisch und musisch zu betätigen.

Seit einigen Jahren nehmen auch immer wieder internationale Gäste an den Sommerlagern teil oder arbeiten eine längere Zeit als Praktikant in Monino mit. So waren schon mehrfach deutsche Schülergruppen für 2-3 Wochen in Monino und Gäste aus Holland, der Schweiz, aus Irland, Frankreich und sogar aus Neuseeland.

Insbesondere russisch-deutsche Jugendlager sollen in Zukunft noch mehr ausgebaut werden. Dabei soll es einerseits um die Begegnung der Jugendlichen gehen, andererseits um die Unterstützung des Projektes. Die Mitarbeit in Monino bezieht sich weniger auf soziale Aufgaben wie die Betreuung von Kindern, als vielmehr auf handwerkliche Arbeiten (Häuser renovieren, Zäune bauen, Feuerholz hacken, Gartenarbeit, Heuernte etc.), die die russischen und deutschen Jugendlichen gemeinsam bewerkstelligen sollen.

1.3. Aufbau der Arbeit

Im ersten Teil der Arbeit geht es um die Definition des Begriffes Interkulturelle Kompetenz. Verschieden theoretische Modelle werden aufgezeigt, aus denen der konkrete Ansatz für diese Klassenfahrt abgeleitet wird. Es folgt die Darstellung der Vorbereitungszeit mit der organisatorischen und inhaltlichen Planung. Daran schließt sich eine tabellarische übersicht über die durchgeführte Reise an.

Die Darstellung und Analyse der durchgeführten Reise betrifft ausgewählte, interkulturell relevante Situationen. Als Analyseinstrumentarium fungieren dabei Teilfähigkeiten, die zur Entwicklung von interkultureller Kompetenz gehören.

Darauffolgend werden die Nachbereitungszeit und die direkten Folgen der Klassenfahrt geschildert, abschließend erfolgt die Gesamtreflexion.

2. THEORETISCHER HINTERGRUND

2.1. Geschichte des Begriffs Interkulturelle Kompetenz

Der heutzutage allgemein übliche Begriff des "interkulturellen Lernens" bzw. der "interkulturellen Bildung" stellt die Weiterentwicklung der sogenannten "Ausländerpädagogik" der 50er und 60er Jahre dar.

Ab der Mitte der 50er Jahre wirbt die BRD ArbeitnehmerInnen aus Italien, Portugal, Jugoslawien, Spanien, der Türkei und aus Griechenland an. Der Aufenthalt ist zunächst begrenzt geplant und die sogenannten "GastarbeiterInnen" kommen ohne Familienangehörige. Mit der Phase der Familienzusammenführung kommen die Kinder der angeworbenen Arbeitskräfte in die Schule und die "Ausländerpädagogik" entsteht. [4] Sie ist ausschließlich für die ausländischen Kinder gedacht und basiert auf dem defizitären Ansatz, dass den Immigrantenkindern Deutschkenntnisse fehlen, die sie ausgleichen müssen. Der Integrationsdruck liegt einseitig bei den "Ausländern" und ihren Kindern, die dadurch als Sondergruppe stigmatisiert werden.

Seit den 70er Jahren wird das Konzept der "Ausländerpädagogik" aufgrund der einseitigen Defizit-Sichtweise zunehmend kritisiert. Für die Eltern der inzwischen in der BRD geborenen Kinder wird eine Rückkehr in ihr Herkunftsland zunehmend unrealistisch und das Selbstbewusstsein der Immigrantinnen und Immigranten wächst. So tritt in den 80er Jahren der Begriff der "interkulturellen Erziehung" auf, der dann von dem des "interkulturellen Lernens" abgelöst wird. Hierbei wird - im Unterschied zur "Ausländerpädagogik" - die Beidseitigkeit des Lernprozesses in den Vordergrund gestellt. Es findet eine Neubewertung der verschiedenen Kulturen statt, die gleichberechtigt von einander lernen können und müssen. Zunehmend wird vom Dialog zwischen den unterschiedlichen Kulturen gesprochen. Die Fähigkeit, die aus dem interkulturellen Lernen erwächst, wird als interkulturelle Kompetenz bezeichnet.

2.2. Bedeutung für den Fremdsprachenunterricht

Seit der "pragmatischen Wende" in der Sprachforschung in den 70er Jahre [5], ist der Fremdsprachenunterricht zunehmend "kommunikativ" ausgerichtet. D.h. der Fremdsprachenunterricht an der Schule soll dazu befähigen, sich im Land der Zielsprache verständigen zu können. Spätestens seit den 90er Jahren erkennt die Sprachforschung jedoch, dass "kommunikative Kompetenz" nicht isoliert von dem kulturellen Hintergrund der Sprecher des Ziellandes betrachtet werden kann. Die im Fremdsprachenunterricht zu vermittelnde Sprache transportiert gleichzeitig Elemente der Kultur des Ziellandes D.h. eine Verständigung zwischen den Sprechern zweier Sprachen bedeutet auch immer eine Vermittlung zwischen zwei unterschiedlichen Kulturkreisen. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um die reine Wissensvermittlung von landeskundlichen Fakten über das Zielland, sondern um eine darüber hinausgehende 'interkulturelle Vermittlung'. So ist es einerseits für den Fremdsprachenunterricht wichtig, die Zielkultur zu vermitteln, und andererseits, die Schülerinnen und Schüler anzuregen und zu befähigen, mit der Zielkultur umzugehen. Besonders gut geeignet für die 'interkulturelle Erprobung', für das sprachliche und interkulturelle üben ist der direkte Kontakt mit VertreterInnen einer anderen Kultur, z.B. bei einem Schüleraustauschprogramm, bei Studien- oder Projektfahrten.

2.3. Veränderte politisch-gesellschaftliche Situation

Wie die SVS beschreibt [6], handelt es sich nicht nur um einen Paradigmenwechsel aufgrund der Defizite der "Ausländerpädagogik", sondern um das Ergebnis einer gesellschaftlichen, politischen Entwicklung. Der interkulturelle Dialog stellt eine Notwendigkeit gegen eine wachsende Ausländerfeindlichkeit dar. Zu den in der BRD lebenden ehemaligen "GastarbeiterInnen" kommen seit den 70er Jahren Asyl Suchende hinzu und seit Mitte der 80er Jahre gibt es eine Migrationswelle aus Osteuropa. Aus Russland immigrieren viele jüdische Familien und Russlanddeutsche, wodurch z.B. in Berlin die jüdisch Gemeinde wächst. Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf leben nach Angaben einer russischen Bezirksabgeordneten der CDU circa 25.000 russische EinwanderInnen. Der Anteil der Bevölkerung nichtdeutscher Herkunft betrug 1998 in beiden Teilen Berlins 13%, wobei der Anteil von Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache in Hellersdorf bei 1%, in bestimmten Weddinger und Neuköllner Einzugsgebieten bei 50%, in Kreuzberg bei über 60% und dort an manchen Schulen nahezu bei 80% lag. [7]

Nach den schlechten Ergebnissen der PISA-Studie und dem Amoklauf von Erfurt ist die Bildungssituation in der BRD verstärkt in der öffentlichen Debatte. Im Zusammenhang mit der neuerlichen "Bildungskatastrophe" wird endlich benannt, dass die BRD ein Einwanderungsland ist. [8] Wir leben heutzutage in einer multikulturellen Gesellschaft. Die SVS [9] zitiert den Begriff der "Transkulturalität":

"Heute gilt es, die Kulturen (...) jenseits des Gegensatzes von Eigenkultur und Fremdkultur zu denken (...) Unsere Kulturen haben de facto längst nicht mehr die unterstellte Form der Homogenität und Separiertheit. Sie weisen vielmehr eine neuartige Form auf, die als transkulturell zu bezeichnen ist, sofern die heutigen Lebensformen durch die traditionellen Kulturgrenzen wie selbstverständlich hindurchgehen. (...) Wir sind kulturelle Mischlinge." [ 10]

Der Begriff der Kultur wird in der globalisierten "Einen Welt" zunehmend dynamisch, vermeintlich klare Trennlinien zwischen verschiedenen Kulturen verfließen. Wir werden mehr und mehr zu "Weltbürgern" mit den verschiedensten kulturellen Einflüssen.

2.4. "Eigenes" vs. "Fremdes"

Bei der Entwicklung des Konzepts des "interkulturellen Lernens" wurde die oben erwähnte Defizithypothese in den 80er Jahren von der Differenzhypothese abgelöst. Damit wurde auf die Gleichwertigkeit unterschiedlicher Kulturen abgehoben, die "Fremdheit" sollte als solche anerkannt werden. Der Fremdsprachenunterricht wurde als "Ort der systematischen Begegnung der Lernenden mit der Fremdkultur" [11] gesehen. Die traditionelle Landeskunde, deren Blick nur in einer Richtung verlief, da sie sich auf die Vermittlung von landeskundlichen Informationen über das Zielland beschränkte, wurde erweitert um einen kulturvergleichenden und kulturrelativierenden Ansatz, bei dem der Blick ausdrücklich in beide Richtungen gelenkt werden sollte, d.h. es sollte eine Beziehung hergestellt werden zwischen der "eigenen" und der "fremden" Kultur. [12] Durch den Kulturvergleich und den Bezug auf die "eigene" Kultur sollten Vorurteile und stereotype Vorstellungen abgebaut werden. Wie KRUMM [13] jedoch bereits im Handbuch Fremdsprachenunterricht von 1995 zu bedenken gibt, legt die Differenzhypothese, die These also von der kulturellen Differenz verschiedener Menschen, Personen auf vermeintlich klar abgrenzbare, "kulturelle" Merkmale fest und macht auch die Differenzhypothese "die Fremden" letztendlich zum Problem.

CHRIST [14] warnt vor einer "Verdinglichung" der Kultur. Es sei zwar richtig, dass man bei dem Erlernen einer fremden Sprache auch eine "fremde Kultur" kennen lerne, aber nur unter der Bedingung, "dass man mit der fremden Kultur nicht ein geschlossenes Ganzes, sondern nur eine angenommene kohärente Realität meint, als welche sie den Lernern erscheint". [15]

HU [16] verweist auf die mit dem Begriff des "Fremden" verbundenen Gefahren:

"...indem das 'Fremde' fremd belassen werden soll, erfährt es eine noch wesentlich radikalere Bedeutung, es wird zu etwas Nicht-Annäherbarem, das unwiederbringlich isoliert, eben unverstanden bleibt. Das 'Fremde' wird hier - überspitzt gesagt - als ein Wert gefeiert."

BREDELLA et al. [17] geben zu bedenken, dass es sich bei dem "Fremden" und "Eigenen" stets um "relationale Kategorien" handelt, die sich jeweils nach der eingenommenen Perspektive verändern. SCHÄFTER [18] beschreibt "Fremdheit" nicht als Eigenschaft, sondern als "Beziehungsmodus".

In diesem Zusammenhang möchte ich den oben zitierten Begriff der Transkulturalität nochmals bemühen; in der heutigen gesellschaftlichen Situation erscheint es als weitaus angemessener von einer Vielheit von "transkulturellen Identitäten" [19] zu sprechen, die geprägt sind von der Durchdringung verschiedener Lebensentwürfe, Denkformen, Handlungsweisen, Wertvorstellungen, Haltungen etc. und sich endlich von der Vorstellung eines vermeintlich "Eigenen" als immer wieder auftauchenden, festen Bezugspunkt, zu verabschieden. Es gilt ein komplexes, ständig in Bewegung begriffenes Phänomen als solches zu denken und die damit einhergehende Auflösung von vermeintlichen Fixpunkten bzw. vermeintlich klaren Grenzen auszuhalten.

SCHÄFTER spricht von der "konfliktträchtigen Zeitgenossenschaft von unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen", in der wir alle mehrere Kulturen miteinander verbinden müssen und "Identitätsarbeit" leisten müssen. [ 20]

"Moderne Individuen müssen /.../ ihre Identität selbst herstellen oder sichern. D.h. sie müssen ihr Verhältnis zu sich selbst und zur Gesellschaft klären. In der einen Dimension bedeutet das: Stellungnehmen zur eigenen Lebensgeschichte und Zukunftsentwürfe machen, in der anderen: sich sozial verorten. Und dabei kommt man nicht darum herum zu entscheiden: Was aus den mir verfügbaren kulturellen Symbolwelten ist mir für mein Selbstverständnis und meine Selbstdarstellung wichtig?" [21]

In der "sozialen Verortung" geht es also um unser Selbstverständnis in der "transkulturellen" Gesellschaft. Die Schaffung unserer - ob gewollt oder ungewollt - "transkulturellen" Identität ist unsere Aufgabe. Auch der Versuch der Ausblendung der Vielfalt, in der wir leben, stellt eine Verortung dar.

3. ANSATZ FÜR DIE REISE

3.1. Mögliche Ansätze für das interkulturelle Lernen auf einer Schülerreise

3.1.1. Ansatz von NICKLAS

NICKLAS [22] unterscheidet in seinen "Thesen zum interkulturellen Lernen" zwischen dem "Lernen als Treppe" und dem "Lernen als konzentrische Kreise". Dem ersten ordnet er das aufeinander aufbauende Lernen von kognitiven Inhalten und logischen Strukturen zu. Das Lernmodell sei weitgehend das der Schule. Bei dem zweiten Lerntyp hingegen geht es um komplexe Lernprozesse, wie sie beim sozialen Lernen notwendig sind, die als "Anreicherungs- und Kristallisationsprozesse" verstanden werden müssen. NICKLAS sieht das interkulturelle Lernen als eine Form des sozialen Lernens an, mit dem Ziel der "Erhöhung der sozialen Kompetenz und der zwischenmenschlichen Fähigkeiten". [23]

Als zentrales Problem des interkulturellen Lernens kennzeichnet der Autor den Umgang mit dem "Anderssein". Zunächst ist es notwendig, die kulturellen, ideologischen und politischen Unterschiede zu betonen, da erst die Konfrontation mit anderen Gewohnheiten, anderen zwischenmenschlichen Beziehungen, das Erleben anderer Räume, den Blick für mögliche Gemeinsamkeiten schärft.

"Andersartigkeiten wahrzunehmen und mit ihnen zu leben, erfordert die Bereitschaft, den anderen als Herausforderung zu akzeptieren und die Herausforderung seines Andersseins anzunehmen. Andersartigkeit hat immer auch Rückwirkungen auf das Selbstverständnis. Wird die Begegnung mit der Andersartigkeit einer fremden Kultur als existentielle Bereicherung gelebt und erlebt, dann öffnet sich ein neuer Blick auf den anderen und sich selbst." [24]

NICKLAS warnt vor zwei Fehlhaltungen beim Umgang mit Andersartigkeit:

a) Wird Andersartigkeit absolut gesetzt, wird die Kommunikation zur Konfrontation und weitere Lernprozesse sind blockiert.
b) Wird dagegen Andersartigkeit geleugnet, verschwimmen Grenzen und verwischen Konturen. Die kulturelle Identität schlägt um in Indifferenz, und Lernprozesse können ebenfalls nicht mehr stattfinden. [25]

Eine Absolutsetzung von Andersartigkeit liegt z.B. vor, wenn man von "dem Fremden" als fester Kategorie spricht, also "dem Russen" bestimmte Merkmale zuschreibt, die nur auf ihn zuträfen und vermeintlich unveränderlich sind. Unter b) kann man sich eine 'Gleichmacherei' vorstellen des Typs "Ach, die französischen Jugendlichen sind doch genauso wie wir" oder auch "Ach, Ostdeutsche und Westdeutsche sind alle Deutsche, da gibt es keine Mentalitätsunterschiede". Werden Unterschiede nicht benannt, findet keine Annäherung und kein Dialog statt.

NICKLAS formuliert folgende zwölf Stufen des interkulturellen Lernens:

  1. Offenheit für das andere, das Fremde, das Ungewohnte
  2. Erweiterte Wahrnehmungsfähigkeit für Fremdes
  3. Das andere als anders zu akzeptieren
  4. Ambivalenz ertragen können
  5. Fähigkeit zur Empathie
  6. Die Fähigkeit zu experimentierendem Verhalten
  7. Angstfreiheit vor dem Fremden
  8. Die Fähigkeit, unsere eigenen Normen in Frage stellen zu können
  9. An der Utopie des herrschaftsfreien Diskurses festhalten
  10. Die Fähigkeit, Konflikte auszutragen
  11. Den eigenen Ethnozentrismus und Soziozentrismus erkennen und relativieren können
  12. Die Fähigkeit, übergreifenden Loyalitäten und Identitäten zu entwickeln [26]

NICKLAS führt diese Punkte als Ziele des interkulturellen Lernens an. Zusammengefasst werden die verschiedene Ziele für die vorliegende Arbeit als Komponenten von interkultureller Kompetenz betrachtet .

Einige dieser Teilfähigkeiten könnten übertragbar sein auf die geplante Schülerreise, wobei es sich im Rahmen einer einzigen Schülerreise nur um die Entwicklung von ersten Ansätzen von interkultureller Kompetenz handeln kann, die sich immer weiter entwickelt muss, als ein lebenslanger Lernprozess.

3.1.2. Ansatz von CHRIST

Ein weiteres Modell zum interkulturellen Lernen bzw. zur interkulturellen Begegnung liegt bei CHRIST [27] vor. Er spricht bei der Begegnung mit "dem Anderen" von einer doppelten Blickrichtung bzw. von einem sich kreuzenden Blick. Der Blick des Lernenden schaut das Andere/ den Anderen an, der aber zurückblickt, den Lernenden seinerseits in den Blick nimmt und als Anderen wahrnimmt. So werde der Lernende auf sich selbst zurückgeworfen, muss sich selbst in die Betrachtung einbeziehen. Im Kontakt mit anderem wird die Selbstreflexion herausgefordert. Empathiefähigkeit bedeutet die Fähigkeit zum Perspektivwechsel.

CHRIST (ebd.) plädiert für eine lernerorientierte Betrachtungsweise. Meist werde nur nach objektiven Gegebenheiten, nach Gegenständen des Lernens gefragt, nicht aber nach dem Lernprozess selbst, und ebenso wenig nach den Lernern, wo sie stehen, woher sie kommen, welches "kulturelle Gepäck" das ihre ist.

Bei den "objektiven Gegebenheiten" würde es sich im Fall einer Russlandfahrt etwa um die Vermittlung von vermeintlich objektivem Wissen über das Land handeln, z.B. über bestimmte Sitten und Bräuche "der Russen". Eine so als vermittelbares Faktenwissen verstandene "Kultur" führt zu der oben skizzierten Festlegung einer "Kultur" auf bestimmte Merkmale, die zu leicht zu Klischeevorstellungen über die Menschen aus dem Kulturkreis führt. Hintergrundwissen über die geschichtliche Bedingtheiten der heutigen Situation und Informationen zur heutigen wirtschaftlichen und sozialen Lage in Russland erleichtern selbstverständlich das Verständnis bestimmter Phänomene. Ein derartiges Hintergrundwissen sollte aber eben nicht als vermittelbare "Kultur" missverstanden werden (wie in der traditionellen "Landeskunde", als Kunde über ein als Objekt begriffenes Land).

Die eindeutig anderen kulturellen Zusammenhänge sind in Bewegung begriffene, komplexe Gefüge, denen man sich allmählich annähern, sich in sie einfühlen kann, die man mit der Zeit kennen lernen kann, indem man vielfältige Erfahrungen der Begegnung, des Austausches, der Zusammenarbeit macht.

Im Rahmen der geplanten Schülerreise wird es also darum gehen, die SchülerInnen zu möglichst vielfältigen interkulturellen Erfahrungen anzuregen. Dabei wird es sich

eher um eine "beobachtenden Studie" handeln müssen, bei der ich die SchülerInnen begleite und versuche zu beobachten, wie sie interkulturelle Erfahrungen machen (können).

3.1.3. Ansatz von THOMAS

Die "Methode der teilnehmenden Beobachtung" in Form von Beobachtungs-Protokollen und Tagebüchern wurde von THOMAS [28] zur Untersuchung des interkulturellen Lernens in Schüleraustauschprogrammen zwischen der BRD und Frankreich und England angewendet. Dabei wurde anhand folgender Fragestellungen beobachtet:

  1. Welche Möglichkeiten zum interkulturellen Lernen bieten sich?
  2. Welche Grenzen für interkulturelles Lernen sind in den laufenden Programmen vorhanden?
  3. Welche Möglichkeiten bestehen, die Programme so zu organisieren und pädagogisch zu betreuen, dass ein intensives interkulturelles Lernen stattfindet? [29]

Diese Fragestellungen würden sich, obwohl es hier nicht um ein Schüleraustauschprogramm, sondern um eine einzelne Schülerfahrt geht, zur Beobachtung anbieten.

THOMAS schreibt weiter:

"Ein Schüleraustausch sollte ein Maximum an interkulturellen Erfahrungsmöglichkeiten bieten, und die Interaktionsprozesse der Schüler untereinander, der Schüler zu den Schülern des Gastlandes und der Schüler zu den begleitenden Lehrpersonen sollten so beschaffen sein, dass sich daraus für den einzelnen Schüler Möglichkeiten zum Verständnis der fremden respektive der eigenen Kultur ergeben. Die pädagogische Aufgabe der Lehrpersonen besteht vornehmlich darin, zu Beobachtungen und Erfahrungen anzuregen und die fremdkulturellen, zunächst unverständlich erscheinenden Beobachtungsinhalte und Erlebnisse mit den Schülern zu reflektieren und ihnen Hilfestellungen zum Verständnis des fremdkulturellen Verhaltens anzubieten." [ 30]

Von THOMAS wurde die Methode der teilnehmenden Beobachtung bewusst gewählt, um den "natürlichen" Ablauf der Gruppenfahrt ins Ausland "möglichst wenig zu beeinträchtigen". [31] Das erscheint mir einleuchtend, auch ich möchte, dass die Schülerinnen und Schüler diese ihre erste Reise nach Russland als "natürliche" Fahrt erleben, d.h. dass sie sich nicht wie 'Versuchskaninchen' für meine Examensarbeit fühlen oder mit meinem interkulturellen Anspruch überfrachtet werden dürfen. Sie sollen ihre authentischen Erfahrungen machen und sich unbeobachtet fühlen.

3.1.4. Arbeit mit Fragebögen

Ein anderer möglicher Untersuchungsansatz wäre: die SchülerInnen vor und nach der Reise einen Fragebogen ausfüllen zu lassen, z.B. zu ihren Vorurteilen über Russland. Nach der Reise könnten sie dann entweder ihre Angaben von vor der Reise bearbeiten oder aber einen anderen Fragebogen zu ihren gemachten Erfahrungen ausfüllen. Da allerdings Untersuchungen von Schüleraustauschprogrammen [32] ergeben haben, dass die persönliche Erfahrung im Land mitnichten Vorurteile quasi automatisch abbaut, sondern im Gegenteil sogar vielfach Klischeevorstellungen noch verfestigt hat, [33] werde ich bei meiner Untersuchung nicht so verfahren. Beim interkulturellen Lernen handelt es sich nicht um abfragbares Wissen, sondern um einen allmählichen Entwicklungsprozess, der hier nur in Gang gesetzt werden kann. Die zu erwartenden Erfahrungen werden nicht punktuell abfragbar sein. Deshalb erscheint mir die Methode mit Fragebögen ungeeignet.

3.1.5.Das Problem der Messbarkeit

Damit ist das Problem der Messbarkeit von "interkulturellen Erfolgen" generell angesprochen. Wie sollen "Resultate" von interkulturellem Lernen getestet oder nachgewiesen werden? Wie auch THOMAS in seiner Studie betont, könnten tatsächlich nur breit angelegte Langzeitstudien Auskunft über Ergebnisse von interkulturellem Lernen geben. [34] Als Resultate seiner Beobachtungsstudie hält er fest:

- Die Wirkung zeigt sich vor allem in der Zunahme von Selbstverstrauen, der Erweiterung der Interessen und Sprachfähigkeit, wobei alle drei Faktoren einander ergänzen und bedingen.

- Ob das Ziel der Völkerverständigung erreicht wird, ist eine offenen Frage, da Langzeitstudien fehlen und Vorurteile sich unter dem Einfluss der eigenkulturellen Umgebung leicht wieder aufbauen.(ebd.)

Zum Problem der Messbarkeit von interkulturellem Lernen schreibt MÜLLER [35], in seinem Artikel: "Was bleibt hängen? Alltagserfahrungen und internationale Begegnungsprogramme", dass meist große Erwartungen an interkulturelle Begegnungen geknüpft werden (wie "Abbau von Vorurteilen, politische Bildung, Entwicklung eines europäischen Bewusstseins" etc. vgl. ebd.). In vielen Fällen kämen allerdings sehr viel kleinere Ziele der Wirklichkeit näher (wie "Spaß mit anderen Jugendlichen haben, günstige Reisemöglichkeiten nutzen" etc.). Der Autor ist der Auffassung, dass die Evaluation von interkulturellen Begegnungen über die Frage: "Hat es Euch gefallen - wenn nein, warum nicht?" nicht hinausgekommen sei. Auf der anderen Seite schreibt er, dass jeder, der an solchen Begegnungen teilnimmt, erzählt, dass er nicht unberührt geblieben ist, dass da sehr viel geschehen kann, auch wenn es sich "nicht in Bildungsgütern oder Einstellungsänderungen messen lässt" (ebd.). MÜLLER schlägt deshalb vor, dass Problem auf etwas andere Weise zu betrachten: "nicht mehr nach den Wirkungen zu fragen", sondern eher "die Erfahrungen von jungen Teilnehmern besser beschreiben zu lernen". Wobei er betont, dass nicht nur die Erfahrungen in der Begegnungssituation gemeint sind, sondern die Erfahrungen im "Lebenskontext", d.h. im 'normalen' weiteren Leben der TeilnehmerInnen. Anhand zweier Berichte von Teilnehmern versucht er zu zeigen, "dass Wirkungen solcher Begegnungen etwas anderes sind, als das was sich als Lernerlebnis schwarz auf weiß festhalten lässt" (ebd.).

3.2. Konkreter Ansatz für die Reise

Aus den dargestellten verschiedenen Modellen erscheint mir folgender konkreter Ansatz für unsere geplante Reise sinnvoll:

Insgesamt kann es nur um das erste Kennenlernen eines anderen kulturellen Zusammenhangs gehen, um das Erfahren von anderen Deutungsmustern, sozialen Codes, Lebensentwürfen und Handlungsweisen in einer anderen Sprache als der deutschen. Die Haltung sollte dabei eine offene sein, die sich zunächst auf "das Andere" einlässt und es als andere, weitere Normalität akzeptiert, es als selbstverständlich hinnimmt. Erfreulich wäre, wenn es gelänge, "das Andere", also die russische Realität, insoweit zu verstehen, dass von einem Perspektivwechsel gesprochen werden könnte, wenn die SchülerInnen es also schaffen würden, sei es auch nur einige wenige Situationen, aus russischer Sicht wahrzunehmen und zu begreifen. Besonders erfreulich wäre es, wenn die SchülerInnen in ihrem nicht hinterfragten Selbstverständnis erschüttert würden und sich erste Relativierungen des Selbstbildes einstellen würden.

3.2.1. Analyse von Situationen

Einzelne Situationen, entweder Konfliktsituationen oder Situationen, in denen den SchülerInnen etwas besonders aufgefallen ist, sie von etwas begeistert waren oder ihnen etwas sonderbar vorgekommen ist, sollen als Anlass für eine gemeinsame Analyse genutzt werden. [36] Gleichzeitig werde ich versuchen, die SchülerInnen so gut wie möglich zu beobachten und Beobachtungsprotokolle zu schreiben. Dabei sollen folgende Fragen im Vordergrund stehen:

Was scheint den SchülerInnen als besonders (anders) aufzufallen, worüber regen sie sich auf/ sind sie begeistert/ fühlen sie sich unwohl?
Was passiert beim Kontakt mit Russinnen und Russen (im Zug, auf der Straße, in Kiosken, in der Schule, in der U-Bahn, in Monino etc.)?
Welche erlebten Situationen eignen sich zur gemeinsamen Analyse? An welche Erlebnisse lassen sich Reflexionen in Richtung interkulturelles Lernen anschließen?
Wie kann man interkulturelles Lernen überhaupt bewirken?

3.2.2. Vermittlungsarbeit

THOMAS (S.40ff.) betont die Wichtigkeit der Vermittlung durch den Begleiter. Er schreibt, dass "Verarbeitungshilfen, /.../ z.B. kulturspezifische Erklärungen für fremde Verhaltensweisen nur in einem pädagogischen Gespräch mit den Lehrern vermittelt werden können", und dass es ein großes Bedürfnis danach seitens der SchülerInnen gibt. Es gilt also in meiner Rolle als Begleiterin zu prüfen:

- Wie kann ich vermittelnd tätig sein zwischen russischen Gegebenheiten und deutschen Gewohnheiten?

3.2.3. "Rückzugsmöglichkeiten"

In einigen Aufsätzen zum interkulturellen Lernen wird die Wichtigkeit von "Rückzugsmöglichkeiten" genannt (vgl. THOMAS S.41f.), um die vielfältigen Eindrücke bei interkulturellen Begegnungen zu verarbeiten. Häufig wird bei sehr organisierten Austauschprogrammen mit vielen Exkursionen, Stadtrundfahrten, Museumsbesuchen, Sehenswürdigkeiten etc. kaum Raum gelassen zum "Verdauen" der Eindrücke, zum Nachdenken über das Gesehene, um evtl. gemeinsam ins Gespräch zu kommen über Wahrgenommenes.

3.2.4. Schülergemäße Besichtigungen

THOMAS (S.34) schreibt, dass der Besichtung von Kirchen, Museumsbesuchen und Exkursionen, die bei den meisten Austauschprogrammen eine zentrale Rolle spielen, "insgesamt nur ein geringer Lerneffekt zukommt". Denn die Schüler haben hier keine Notwendigkeit und Möglichkeit, aus ihrer eigenkulturellen Gruppe Kontakt zu den Bewohner des Gastlandes aufzunehmen. Eine tiefgehendere geschichtliche wie kulturelle Einordnung der zu besichtigenden Bauwerke müsste dann einen eigenen inhaltlichen Schwerpunkt in der Vorbereitung und während der Fahrt darstellen. THOMAS (ebd.) schlägt deshalb schülergemäße Besichtigungen in kleinen, gemischt-kulturellen Gruppen mit gemeinschaftlich zu leistenden Entdeckungsaufgaben vor. Die Besichtigung von Bauwerken und touristisch bedeutsamen Plätzen ist nach THOMAS (S.35) "für den Schüler nur insofern wichtig, als er nach seiner Rückkehr "stolz" berichten kann, auch dort gewesen zu sein."

Deshalb möchte ich bewusst den Aufenthalt in Moskau nicht völlig mit Programmpunkten durchorganisieren, sondern eher absichtlich Freiräume lassen, in denen die SchülerInnen unter sich sein können, in Kleingruppen durch die Stadt ziehen oder einfach nur in einem Park oder an einem Denkmal in der Sonne sitzen können, und die Stadt und das Leben in ihr auf sich wirken lassen können.

Zur Bedeutung von eingeräumten Freiräumen bzw. zu "selbst-entdeckendem Lernen schreibt THOMAS (ebd.):

"Hier lassen sich am ehesten Aktivitäten selbst-entdeckenden, fremdkulturellen Lernens beobachten, die mit großem persönlichem Engagement durchgeführt und mit einem hohen Grad emotionaler Betroffenheit erlebt werden. ähnlich wie beim "Familienbesuch" wird die selbständige Bewährung in fremder Umwelt erfahren, allerdings ist hier der erlebte Freiheitsgrad noch höher. Wie viel Geld man tauscht, was man dafür kauft, wo man einkauft, wen man dazu mitnimmt, was und wie viel man dabei mit den Einheimischen spricht usw. sind alles selbst initiierte und selbstbestimmte Aktivitäten, bei denen die Schüler sich einmal nicht nach Erwachsenenvorschriften richten müssen, sondern "nur" an dem orientieren, was die anderen Schüler unternehmen. Wenn solche Aktivitäten noch in gemischt-kulturellen Gruppen erfolgen können, ist mit einem hohen interkulturellen Lerneffekt zu rechnen, der wegen des hohen Anteils an Eigeninitiative von nachhaltiger Wirkung ist."

Um einen Kontakt mit Gleichaltrigen und ein schülergemäßes Kennenlernen der Stadt mit besagter "Selbstbewährung" zu ermöglichen, plane ich eine Stadtrallye. Die SchülerInnen sollen zusammen mit russischen Jugendlichen Entdeckungsaufgaben bewerkstelligen, indem sie in Kleingruppen jeweils mit ein, zwei russischen Jugendlichen die Stadt erkunden. Damit verbinde ich die Hoffnung, dass sie sich durch die gemeinsame Aufgabe näherkommen, als wenn sie sich einfach nur "begegnen" würden, ohne eine verbindende Aufgabe.

3.2.5. Projektarbeit

THOMAS (S.25) unterscheidet verschiedene Typen von Schülerfahrten:

Typ 1: Internationale Schülerbegegnung mit Klassenfahrtcharakter und Schullandheimaufenthalt im Gastland.

Typ 2: Internationaler Schüleraustausch mit Aufenthalt in Gastfamilien und mit bzw. ohne vorherigen Kontakt zum Austauschschüler und zur Gastfamilie.

Typ 3: Internationaler Schüleraustausch mit Aufenthalt in Gastfamilien und gemeinsamer Projektarbeit.

Auf unsere geplante Fahrt trifft keiner der Typen zu, es handelt sich eher um eine Mischform: Eine Schülerfahrt (mit einem Teil der Klasse) ins Ausland mit geplanter interkultureller Begegnung mit Jugendlichen und gemeinsamer Projektarbeit, mit dreitägigem Aufenthalt in einer Moskauer Schule und Unterkunft auf dem Land in einem Kinderdorfprojekt.

THOMAS (S.26) ist der Meinung, dass die interkulturellen Lernmöglichkeiten von Typ 1 zu Typ 3 zunehmen, weil die Dauer und Intensität des Kontaktes zunimmt. Obwohl er zu bedenken gibt, dass die Qualität des Kontaktes und viele weitere Faktoren eine Rolle spielen. "Hervorragende interkulturelle Lernmöglichkeiten" konstatiert THOMAS (S.44) bei Begegnungen mit einem gemeinsamen Arbeitsprojekt (in seinem Beispiel: Film drehen), die die Schüler auch intensiv genutzt hätten. So haben sich französische und deutsche Jugendliche über ihre unterschiedlichen Herangehensweisen, Auffassungen über die Filmdialoge etc. auseinandergesetzt und verständigt.

Ein gemeinsames Projekt kann das verbindende Dritte zwischen zwei Menschen oder zwei "Kulturen" darstellen und als dauernder Sprechanlass dienen, da man sich über die gemeinsame Gestaltung des Projektes permanent verständigen muss.

Mit der Einbindung der SchülerInnen in das Kinderdorfprojekt und die dortigen Arbeiten verbindet sich die Hoffnung, dass die Kontakte zu den russischen BewohnerInnen des Dorfes und zu den anwesenden russischen Jugendlichen intensiver werden bzw. dass die gemeinsame Arbeit die interkulturelle Verständigung fordert und so interkulturelles Lernen stattfindet.

3.2.6. Nachbereitung

In der Nachbereitung der Klassenfahrt wird es dann darum gehen müssen, mit den SchülerInnen weitergehende Reflexionen zu versuchen, sei es in Bezug auf konkrete interkulturelle Kontaktsituationen, sei es bezüglich ihrer ganz persönlichen Eindrücke, ihrer Erfahrungen beim Erzählen von der Reise nach der Rückkehr (etwa mit den Eltern), [37] um das Erlebte zu verarbeiten und die Erfahrungen mit in das hiesige Leben "hinüberzunehmen", Anknüpfungspunkte zum alltäglichen Leben zu finden, um klar zu machen, dass der Lernprozess andauert, es sich nicht um eine isolierte Erfahrung handeln soll, sondern um immer weitergehendes Lernen und Reflektieren. Bei der Nachbereitung ist es wichtig zu versuchen, eine offene Gesprächsatmosphäre zu schaffen, damit sich die SchülerInnen auch tatsächlich trauen, sich auszusprechen, damit sie auch Persönliches erzählen.

3.3.Tabellarischer überblick über den geplanten Ablauf

Datum Unternehmung
17.Juni 02 Zugfahrt Berlin - Moskau
18.Juni 02 Ankunft Moskau, Übernachtung in einer Schule
19.Juni 02 Stadtrallye mit russischen Jugendlichen, evtl. Kneipenbesuch
20.Juni 02 Weitere Stadterkundungen, abends: Zug nach Monino
21.Juni 02 Ankunft Monino, Zelte aufbauen, Einleben
22.Juni 02 Projektarbeit in Monino (verschiedene Arbeiten)
23.Juni 02 Sonntag: keine Arbeit, diverse gemeinschaftliche Aktivitäten
24.Juni 02 Projektarbeit
25.Juni 02 Projektarbeit
26.Juni 02 Projektarbeit; evtl. das erste gemeinsame Reflexionstreffen
27.Juni 02 Projektarbeit
28.Juni 02 Projektarbeit
29.Juni 02 Letzter Tag, Abschied, Zelte packen, <p>abends: Zug nach Moskau
30.Juni 02 morgens: Ankunft Moskau, Gepäck in die Schule bringen, weitere Stadterkundungen, Übernachtung in der Schule
1.Juli 02 morgens: Zug Moskau - Berlin
2.Juli 02 vormittags: Ankunft Berlin

4. DIE VORBEREITUNGSZEIT

4.1. Organisatorische Voraussetzungen

Die Entscheidung für diese Reise fiel auf freiwilliger Basis. Nachdem ich vor der 10.Klasse einen Diavortrag über Monino gehalten hatte, entschieden sich 14 der 32 SchülerInnen für die Russlandfahrt. Die freiwillige Entscheidung war mir dabei wichtig, da es sich aufgrund der ländlichen Verhältnisse in Monino (kein fließendes Wasser, keine sanitären Anlagen, Kochen auf der Feuerstelle etc.), der mit dem Projekt verbundenen körperlichen Arbeit und dem Anspruch von sozialem Engagement seitens der SchülerInnen um eine ungewöhnliche Klassenfahrt handelte.

(Die zweite, größere Gruppe fuhr fünf Tage nach Italien).

So entstand eine Gruppe von 14 SchülerInnen, 8 Jungen und 6 Mädchen, wobei zwei Mädchen Muttersprachlerinnen waren. über ihre Entscheidung mitzukommen freute ich mich besonders, da ich mir von ihnen ein wenig zusätzliche Vermittlung zwischen Russen und Deutschen versprach. (Beide sprechen sehr gut Deutsch bzw. besser Deutsch als Russisch, weil sie schon lange in der BRD leben und sind meiner Einschätzung nach sehr gut in der Klasse integriert.)

Ich organisierte einen Elternabend (für Eltern und Schüler), um auch die Eltern (auch mit Diavortrag) über das Projekt und die geplante Reise genauer aufzuklären und um für ihre Fragen zur Verfügung zu stehen. Viele ihrer Fragen bezogen sich auf die organisatorische Seite der Reise (Reisepass, Visum, nötige Impfungen, Auslandskrankenkasse etc.), einige auf die in Monino lebenden behinderten oder "schwierigen" Jugendlichen und die Situation von Waisenheimen/ Behindertenheimen/ Sonderschulen in Russland. [38] Einige Fragen der Eltern bezogen sich auch auf die berühmte russische Mafia; derartige Sorgen konnte ich zerstreuen, indem ich erklärte, dass ich in meinen zehn Jahren Russlandreiseerfahrung noch keinen Kontakt mit "der Mafia" hatte.

Mit den SchülerInnen der Gruppe veranstaltete ich zehn Extratreffen, in denen die Reise organisatorisch und inhaltlich vorbereitet wurde.

4.2. Konkrete inhaltliche Vorbereitung

Bei der Vorbereitung handelte es sich um eine einerseits informative, andererseits affektive Einstimmung auf die bevorstehende Fahrt, mit dem Zweck, eine positive Erwartungshaltung bei den SchülerInnen zu schaffen.

So ließ ich die SchülerInnen bei einem der Vorbereitungstreffen "lockere" Fragebögen ausfüllen mit folgenden Fragen:

- Was ist deine erste Assoziation, wenn Du an Russland denkst?

- Was erhoffst Du Dir von dieser Reise?

- Worüber würdest Du dich besonders freuen?

- Was fändst Du nicht so schön/ was bereitet dir eher Sorgen/ wovor hast du ein wenig Angst?

Sie antworteten auf die erste Frage etwa mit: "Vodka, Mafia, Kalaschnikow" etc., auf die zweite mit: "Russland kennen lernen, andere Jugendliche kennen lernen, die Sprache verbessern, Spaß haben, das Kinderdorf kennen lernen" etc., auf die dritte Frage kamen etwa folgende Antworten: "wenn ich hinterher in Russisch eine Eins hätte, russische Jugendliche kennen zu lernen, wenn wir im See baden gehen können und das Wetter gut ist" etc. und zur vierten Frage kamen Antworten wie: "dass ich nicht genug Russisch kann, ich mich nicht verständigen kann, dass das Wetter schlecht ist".

Mit der Fragebogenaktion wollte ich nur einen ersten Eindruck bekommen darüber, 'wo die SchülerInnen' stehen, was ihre Erwartungen und evtl. ängste sind.

Die Antworten fielen nicht sehr überraschend aus: die erste Assoziation zu "Russland" ist wahrscheinlich bei den meisten Menschen auf der Welt "Vodka, Mafia, Kalaschnikow". Wenn man so allgemein und pauschal fragt, erhält man auch solche klischeehaften Antworten. Ich denke, dass sich hier bestätigt, dass man Vorwissen, Voreinstellungen, emotionale Assoziationen etc. zu Vertretern einer bestimmten Kultur schlecht so punktuell abfragen kann und dass sich derartige "Vorurteile" (oder Vorstellungen, Bilder) nur schwer anhand einer Klassenfahrt widerlegen oder revidieren lassen, da sie pauschalisiert sind.

Schon bei dieser Fragebogenaktion wurde mir klar, dass man das, was ich mit so einer Klassenfahrt bezwecken möchte, nämlich interkulturelles Lernen bzw. erste Schritte zur Entwicklung von interkultureller Kompetenz, nicht anhand von Fragebögen abfragen kann. Es handelt sich bei diesem Ziel, wie bereits dargestellt, um persönlichkeitsverändernde Schritte, mindestens um eine Horizonterweiterung, die schwer nachzuweisen ist.

Bei einem weiteren Treffen zeigte ich den RusslandfahrerInnen mein persönliches Fotoalbum von den letzten zehn Jahren meiner Russlandfahrten. Bei dem Treffen war eine Freundin von mir, Katja, aus Moskau dabei, die häufig den Sommer in Monino verbringt und zu dem großen Freundeskreis um das Kinderdorfprojekt in Moskau gehört. Sie ist auf vielen meiner Fotos zu sehen. Bei dem Treffen saßen die SchülerInnen und ich in einem kleinen Stuhlkreis und sahen uns die Fotos gemeinsam an und Katja und ich erzählten Hintergründe zu den einzelnen Fotos. Katja erzählte auf Russisch, die beiden Muttersprachlerinnen oder ich übersetzten auf Deutsch. Teilweise sprachen die Muttersprachlerinnen auch mit Katja direkt auf Russisch. Das Treffen war sehr persönlich und durch die Anwesenheit von Katja besonders authentisch.

Eine weitere vorbereitenden Maßnahme, die der affektiven Einstimmung diente, war das gemeinsame szenische Lesen und Darstellen einzelner Szenen eines russischen Theaterstücks, "сюрприз" ("Überraschung"). Dabei geht es um einen deutschen Studenten, Hans, der als überraschungsgast nach Moskau fliegt und bei fremden Leuten einfach vor der Tür steht. Wegen der berühmten russischen Gastfreundschaft, 'muss' das russische Ehepaar Hans natürlich aufnehmen. Später macht er noch die Bekanntschaft des Sohnes und seiner Freunde und feiert mit ihnen im Studentenheim (mit Bier und dem obligatorischen Vodka). [39] Von der Suche nach dem Taxistand auf dem Flughafen bis zur richtigen Wohnungstür im Hochhaus passieren Hans einige 'interkulturelle Situationen', d.h. Situationen, in denen interkulturelle Unterschiede vorliegen, die für Hans ungewohnt sind oder die zu Missverständnissen führen. [ 40]

In dem Theaterstück sind einige charakteristische russisch - deutsche Unterschiede, wie ich finde, sehr gelungen verarbeitet, denen man sich so auf spielerische Weise nähern kann. Abgesehen vom szenischen Lesen, haben die SchülerInnen die Szene des Klingelns an der Wohnungstür abgewandelt und in drei Gruppen eigene Szenen geschrieben und vorgespielt, die sehr originell und lustig waren. Sie hatten augenscheinlich sehr viel Spaß beim Erarbeiten und Darstellen.

In der Klassenarbeit wurde neben dem Resume des Theaterstücks auch eine kleine Reflexion verlangt über die Szene im Taxi. Sie SchülerInnen sollten (auf Russisch) versuchen, die Unterschiede zwischen russischen und deutschen Vätern zu erklären in Bezug darauf, ob ein Auto geschenkt oder selbst verdient werden sollte. Da die inhaltliche Anforderung relativ hoch war für die eher geringeren Russischkenntnisse der meisten SchülerInnen, fielen die Antworten sehr knapp aus. Interessant war allerdings, dass ich einen Unterschied in den Antworten der Muttersprachlerinnen zu den anderen SchülerInnen ablesen konnte. Sie betonten nämlich, dass russische Väter so ihre Großzügigkeit zeigen. Die ausschließlich deutsch sozialisierten SchülerInnen hingegen hoben das pädagogische Moment hervor, nämlich dass deutsche Väter ihre Söhne (und Töchter) so zu mehr Selbständigkeit erziehen wollen.

Beim Lesen und Spielen der einzelnen Szenen schlossen sich manchmal Fragen seitens der SchülerInnen und Erklärungen meinerseits an über Unterschiede in Russland und Deutschland. Ein direkter Bezug zu unserer Fahrt wurde nicht hergestellt, da es sich bei der Fahrt nicht um einen Schüleraustausch mit Aufenthalt in einer Gastfamilie handelte. Eine weiterreichende Reflexion auf der Metaeben über interkulturelle Unterschiede zwischen Russland und Deutschland wurde von mir an dieser Stelle nicht angestrebt, weil ich Sorge hatte vor zu festen Zuschreibungen wie: "die Russen sind so und so, die Deutschen hingegen so und so", da sie meiner Meinung nach zu leicht zu klischeehaften Vorstellungen führen. Außerdem fürchtete ich eine zu starke 'Theoretisierung', bevor die SchülerInnen jemals selbst in Russland gewesen waren und gewusst hätten, wovon ich spreche. Ich wollte, dass sie erst ihren eigenen, möglichst 'natürlichen' Eindruck gewännen, um dann anhand von konkreten Erlbenissen zu reflektieren.

Hierbei handelte es sich eher um einen 'vorbewussten Ansatz'; die SchülerInnen haben sich quasi halb bewusst, halb unbewusst in die Thematik "interkulturelle Missverständnisse" eingeübt.

Eine weitere Vorbereitung, die gezielt der interkulturellen Reflexion dienen sollte, war die Beschäftigung mit zwei Schülerinnenberichten über einen russisch-deutschen Schüleraustausch. [41] Die deutsche Schülerin Nicole und die russische Schülerin Tanja berichten jeweils von ihren Erfahrungen während des Auslandsaufenthaltes. Zur Verdeutlichung sollen hier jeweils einige Sätze aus den Berichten wiedergegeben werden (übersetzung des russischen Berichtes von mir):

Nicole

Tanja ist eingebildet, verwöhnt und desinteressiert. Bei Tisch hat sie kaum was gegessen von dem, was wir angeboten haben. /.../ Anschließend hat sie zugeguckt, wie ich abgeräumt und gespült habe, statt mir zu helfen. Auf unsere Vorschläge für morgen (Zoo oder Museum) hat sie nicht reagiert. Ich scheint alles egal zu sein. Wenn ich bedenke, was wir in Russland für ein langweiliges Pflichtprogramm vorgesetzt bekommen haben! /.../

Таня

Николь совершенно не старается, хотя я у нее в гостях. Вместо того, чтобы ать мне что-нибудь поесть, она меня только спрашивает, что я хочу - откуда же я знаю, что мне понравиться? /:/ Потом целый час я сидела и смотрела, как она моет посуду. Наверное завтра мы никуда не поедем, потому что они ждут от меня, что я им сама предложу куда-нибудь поехать, а мы ведь в России организовали для них отличную культурную программу. /:/

Nicole gibt sich überhaupt keine Mühe, obwohl ich bei ihr zu Gast bin. Anstatt mir irgendetwas zu essen zu geben, fragt sie mich immer nur, was ich denn essen möchte, woher soll ich denn wissen, was mir schmeckt? /.../ Danach musste ich dann eine ganze Stunde lang zusehen, wie sie abwäscht. Morgen fahren wir wahrscheinlich nirgendwo hin, weil die hier von mir erwarten, dass ich selber vorschlage wohin, dabei haben wir ihnen in Russland doch so ein interessantes Kulturprogramm organisiert. /.../

Bei diesem Vorbereitungstreffen handelte es sich um einen Termin außerhalb der Unterrichtszeit, bei dem ich eine lockere Gesprächsatmosphäre bewirken wollte. Die SchülerInnen haben die Gegenüberstellung der (laut Autor) authentischen äußerungen gelesen und die Muttersprachlerinnen haben bei der übersetzung des russischen Berichtes geholfen. Danach sind wir tatsächlich 'locker' ins Gespräch gekommen, indem die SchülerInnen - durch das inhaltliche Niveau bedingt leider fast ausschließlich auf Deutsch - sofort ihre Reaktionen zu den gegensätzlichen Darstellungen äußerten. Besonders eine Schülerin, Inka, ein tatkräftiges, begabtes Mädchen, das sich immer gerne und rege am Unterricht beteiligt und manchmal auch fast vorlaut wirkt, bot mir ein gutes Stichwort, um eine 'interkulturelle Reflexion' anzuknüpfen. Sie sagte nämlich: "Also, die Tanja da, ist ja wirklich'n bisschen unselbstständig, oder?! Wenn die noch nicht mal weiß, was sie will!" Auf meine Aufforderung hin, doch noch mal darüber nachzudenken, womit es zusammenhängen könnte, dass Tanja auf sie 'unselbstständig' wirke, kam Inka buchstäblich ins Stottern. Im gemeinsamen Gespräch, durch Vermutungen der Muttersprachlerinnen und Erklärungen von mir, haben wir herausgearbeitet, dass dahinter unterschiedliche Handlungsweisen stehen: in Russland ist es üblich, für einen Gast alles zu machen, so abzuwaschen, dass er es am besten gar nicht mitbekommt, Programmpunkte werden eher 'vorgelegt' und Speisen werden ohne Nachfrage großzügig aufgefüllt, was aus deutscher Perspektive leicht als aufdringlich empfunden werden kann. In Deutschland hingegen hält man es für 'demokratischer', wenn man verschiedene Möglichkeiten anbietet und zur Wahl lässt, was aus russischer Perspektive leicht als zurückhaltend, unsicher bzw. halbherzig interpretiert werden kann. In Deutschland ist es üblich, dass ein Gast beim Abräumen und Abspülen hilft, in Russland darf das ein Gast auf keinen Fall.

Dieses 'lockere' ca. halbstündige Gespräch mit den SchülerInnen ist, besonders durch Inkas Einwurf, meines Erachtens 'geglückt': erste Ansätze zu einer interkulturellen Reflexion haben hier stattgefunden. Auf meine Frage hin, wie man denn solchen interkulturellen Missverständnissen entgegenwirken könne, sagten mehrere SchülerInnen, dass man darüber eben ins Gespräch kommen müsse, dass man versuchen müsse, solche Punkte zu erkennen und zu klären. Das war ein gutes Ergebnis dieser ersten Reflexion.

Bei der konkreten Programmplanung für Moskau wurden die SchülerInnen einbezogen: sie sollten jeweils auf Zettel schreiben, was sie in Moskau gerne machen würden. Einige nannten Sehenswürdigkeiten, vor allem den Kreml und Roten Platz, viele schrieben aber auch, dass sie kein "durchgeplantes, straffes Programm", "nicht die ganzen Kirchen ablatschen" und "nicht den ganzen Tag in Museen gehen" wollten, dass sie "einen allgemeinen Stadteindruck" und "selbstständige Erforschung Moskaus" und "abends ausgehen, Bars, Discos" wollten. Diese Wünsche trafen sich gut mit meinen Vorstellungen und bestärkten mich in meiner Planung mit der Stadtrallye mit den russischen Jugendlichen, dem Kneipenbesuch und den größeren Freiräumen zur eigenständigen Gestaltung.

Zur Dokumentation der Reise wurde ein gemeinsames Reisetagebuch verabredet und fast alle SchülerInnen wollten Fotoapparate mitnehmen, ein Schüler, Julian, sogar eine Videokamera.

5. DARSTELLUNG UND ANALYSE

5.1. Tabellarischer überblick der durchgeführten Reise

Datum Unternehmung
17.Juni 02 Abfahrt mit dem Zug Berlin/Lichtenberg - Moskau
18.Juni 02 Spät abends Ankunft in Moskau; Zugfahrkarten nach Monino kaufen, mit der Metro in die Schule zur Übernachtung (Kakerlaken)
19.Juni 02 Ausschlafen, Frühstück in der Schule, um 12 h Treffen mit vier russischen Jugendlichen, Lera, Mitja, Jegor, Sonja, im Zentrum zum Stadtspaziergang; abends gemeinsamer Kneipenbesuch und Spaziergang durchs nächtliche Moskau; mit der letzten Metro (ca. 1.00h) zur Schule
20.Juni 02 Weitere Stadterkundungen, versuchter Kremlbesuch (geschlossen), einige S sind allein gebummelt, andere mit mir und russ. Freundin in den Gorkipark gegangen; um 17h zurück zur Schule, Sachen packen, abends Abfahrt Nachtzug nach Monino mit Igor
21.Juni 02 Früh morgens Ankunft Bahnstation, Abholservice mit zwei Autos Fahrt nach Monino; auf dem Weg: echte russ. Lebensmittel in einem echt russ. Dorfladen einkaufen; in Monino: Zelte aufbauen, sich einrichten, Feuerkochstelle bereiten, Kochen, Einleben, Schlafen, im See baden, über die vielen Insekten beschweren etc.
22.Juni 02 Erster Arbeitstag: zum großen Protest der Schüler: gemeinsames Unkraut jäten bevor der Regen kommt; Kochen, Kartenspielen, Lagerfeuer und gemeinsames Singen mit Gitarre mit den Russen, Tee und Torte am Lagerfeuer, da Maikl Geburtstag hatte, bis tief in die Nacht, die gar nicht ganz dunkel wurde (Weiße Nächte...)
23.Juni 02 Da Sonntag war, abgesehen von Kochdiensten, freier Tag mit Beeren sammeln, See baden, Fußballspielen etc.
24.Juni 02 Arbeit in zwei Gruppen: Bäume fällen im Wald mit zwei Russen und Zaun f. Kuh- und Pferdekoppel abreißen und neu bauen mit mir; Kochdienste von Annuschka in die Hand genommen
25.Juni 02 Zaunbau, durch Regen teilweise unterbrochen; Fahrt nach Andrejapol: Lebensmittel einkaufen
26.Juni 02 Zaunbau, Banjatag, die ersten Schülerinnen werden krank...; 18h "Reflexionstreffen", abends: Dorfdisko
27.Juni 02 Zaunbau, teilweise mit Kirjuscha, Eintreffen von Sonja (eine der vier Jugendlichen vom Moskauer Stadtspaziergang), Nachmittags: große "Hochzeit" von zwei Schülerinnen; abends: weitere Schülerinnen krank
28.Juni 02 Zaunbau, die gesunden Schülerinnen gewöhnen sich endlich an die Arbeit, weitere werden krank; Mittags um 12h weiteres "Reflexionstreffen" mit Sonja, abends: Lagerfeuer bis tief in die helle Nacht mit Russen und Deutschen.
29.Juni 02 Der letzte Tag verschwamm im Dauerregen: Zelte einpacken, Fußballfeld wieder abbauen etc. Abfahrt mit den zwei Autos über sehr rutschige und matschige Sandwege... Zugfahrt nach Moskau
30.Juni 02 Früh: Ankunft Moskau, Fahrt zur Schule, Duschen und Schlafen; Mittags ins Zentrum: Kremlbesuch und/ oder "McDoof" (McDonalds); WM Finale auf dem Roten Platz, gemeinsamer Bummel mit Sonja, Lera und Mitja über den Arbat, abends wieder Kneipenbesuch; alle ziemlich müde...
1.Juli 02 Morgens um 10h: Abfahrt Zug Moskau - Berlin/ Lichtenberg; <p>Auf der Zugfahrt: Verbesserungsvorschläge der Schülerinnen eingeholt
2.Juli 02 Pünktliche, heile Ankunft Berlin/ Lichtenberg um 11h47, Begrüßung durch einige Eltern und Mitschülerinnen (der Italiengruppe).

5.2. Analyse ausgewählter Situationen

Nach der Durchführung der Reise erweisen sich die zwölf Stufen des interkulturellen Lernens von NICKLAS für die Analyse einzelner Situationen als geeignet. So erfolgt die Darstellung und Analyse der relevanten Situationen anhand von fünf der zwölf Stufen. Die Auswahl der fünf Teilfähigkeiten von interkultureller Kompetenz richtet sich dabei nach den auf der Reise ansatzweise entwickelten Fähigkeiten.

Die Reihenfolge der einzelnen Fähigkeiten bedeutet eine stufenweise Zunahme an Handlungsorientiertheit, d.h. die Eigenaktivität der SchülerInnen wächst von Stufe zu Stufe.

In der Nachbereitung haben die SchülerInnen Erlebnisberichte verfasst, [42] in denen sie einige der hier dargestellten Situationen ihrerseits beschreiben. Zur Illustration der Schülerperspektive werden teilweise Berichte zu den jeweiligen Situationen zitiert (jeweils kursiv als Schülerbericht gekennzeichnet).

5.2.1. "Offenheit für das andere, das Fremde, das Ungewohnte"

Der erste Kontakt mit russischer Realität begann direkt im Zug, da das gesamte Zugpersonal russisch war. In russischen Zügen ist es üblich, dass jeder Wagon seine/n eigene/n SchaffnerIn bzw. ZugbegleiterIn hat (oder zwei), die sich in der kleinen Küche an einem Ende des Wagons aufhalten, wo man sich jeder Zeit "Kipitok" (kochend heißes Wasser), Tee, Kaffee, das Bettzeug etc. abholen gehen kann. Der eine unserer beiden Schaffner, Mischa, war schon bei Reisebeginn stockbetrunken. Als die wegen der großen Hitze leicht bekleidete Inka im Gang an ihm vorbeigehen wollte, hat er sie angegrabscht, was Inka mir dann im Abteil sehr aufgeregt und auch leicht verstört erzählte. Hier bestand also der erste 'Vermittlungsbedarf' an mich. Ich erklärte ihr, dass der Schaffner sehr besoffen sei, russische Frauen im Zug eher nicht so wenig bekleidet herumlaufen würden und dass man sich irgendwie selbstbewusst zur Wehr setzten, den Schaffner deutlich in seine Grenzen weisen müsse. Als ich dann ebenfalls an dem rotnasigen Mischa im Gang vorbei gehen wollte und er keine Anstalten unternahm, den Weg frei zu machen, forderte ich ihn relativ barsch auf Russisch auf, in sein Abteil zur Seite zu treten. Das hatte dann gesessen, Inka hat sich schnell wieder beruhigt und ist wieder selbstbewusster im Umgang mit ihm geworden. Das war keine sehr schöne erste Kontaktsituation mit einem Russen, doch der 'Konflikt' konnte recht leicht und schnell wieder gelöst werden. [43]

Ferner war im Zug zu bemerken, wie die SchülerInnen sich zunehmend trauten, mit dem Schaffner russisch zu kommunizieren, also sprachlich auf ihn zuzugehen. So fragten sie mich oder die Muttersprachlerinnen immer wieder, wie man den auf Russisch nach "Noch etwas Wasser/ Tee/ Kaffee bitte" etc. fragt. Allmählich trauten sich immer mehr SchülerInnen immer längere Sätze zu. Es war schön zu beobachten, wie bereits im Zug die ersten Hemmschwellen überwunden wurden, sich mit "echten Russen" zu verständigen.

Die zunehmende "Offenheit für das andere, das Fremde, das Ungewohnte" war im Zug deutlich zu beobachten.

5.2.2. "Das andere als anders zu akzeptieren"

Eine Schülerin, Zsofie, die schon drei Wochen früher an dem Schüleraustausch mit Wolgograd teilgenommen hatte und also schon Erfahrung hatte mit den russischen Zügen, regte ich über die Staubigkeit der Bettbezüge auf. Darauf erwiderte Katja, eine der beiden Muttersprachlerinnen: "Wieso, das sind ganz normale russische Betten. Ich bin hier in den Zügen schon so oft gefahren, das ist immer so!" Diese Situation habe ich nur still beobachtet und nichts dazu gesagt und mich innerlich über Katjas Antwort gefreut. Denn darin zeigte sich, dass Katja eine andere Realität als weitere Normalität auffasste, worauf sie Zsofie auf ganz natürliche Art aufmerksam machte, ohne dass Zsofie das als Bevormundung auffassen musste.

Schon an dieser kleinen Situation kann man ablesen, dass Katja hier "interkulturell kompetenter" war als Zsofie, wahrscheinlich bedingt durch Katjas 'bi-kulturelle' Sozialisation zwischen Russland und Deutschland. Zsofie blieb nichts anderes übrig, als das andere als solches zu akzeptieren.

Bei unserer nächtlichen Ankunft in der Schule in Moskau mussten wir die Direktorin, die in der Schule wohnt und schlief, wach klopfen, damit sie uns in die verschlossene Schule einlässt (in Russland geht das Schuljahr nur bis Mai). Nach der langen Zugfahrt wollte die Jugend natürlich unbedingt vor dem Schlafen in der Turnhalle noch duschen. Hier fand der erste Kulturschock statt: die aus deutscher Sicht sehr brüchigen, improvisiert wirkenden, über die verschiedenen Flure in kleinen Kammern verteilt liegenden Duschen waren bevölkert von den in fast allen Moskauer Haushalten vorhandenen Kakerlaken. Die Ausrufe bei deren Anblick, insbesondere der Schülerinnen, kann man sich vorstellen. Ich erklärte und vermittelte, indem ich sagte, dass das in Moskau eben normal sei, dass es "nicht so schlimm" sei, die Kakerlaken einem auch nichts antun würden und dass die SchülerInnen da jetzt eben "durch müssten". Ob meine Erklärung überzeugte oder der Wunsch, sich zu duschen überwiegte, letztendlich haben alle SchülerInnen geduscht und sich über die Teilnahme der Insekten dabei dann nicht weiter beschwert. Am Ende der Reise, wo wir nochmals in der Schule übernachteten, sagten einige SchülerInnen sogar, dass sie die Schule sehr schön gefunden hätten (sie ist etwas 'alternativ ausgerichtet', d.h. es gibt viel handwerklich-künstlerischen Unterrichten, dessen Ergebnisse über all im Gebäude zu betrachten waren und die Schule liegt in einem alten Haus und hat einen schönen großen Neuanbau, es war also kein typisch sowjetischer Plattenbau). Auf meine Nachfrage hin nach den Kakerlaken, sagten mehrere Schülerinnen nur, dass sie das nicht (mehr) so schlimm gefunden hätten.

An dieser Situation kann man sehen, dass die SchülerInnen hier erste Fremdheitsgefühle überwunden und die andere, russische Realität als andere Normalität akzeptiert haben.

5.2.3. "Die Fähigkeit zu experimentierendem Verhalten" [44]

Nach einigen Tagen des Lebens in Monino wurde bekannt, dass die SchülerInnen vorhatten, "eine Hochzeit" zu feiern. Es handelte sich hierbei um eine Idee, die von den SchülerInnen ausging. Um aufzuzeigen, wie aus dem ursprünglichen Spiel ein wahrhaft 'interkulturelles Happening' wurde, folgen längere Ausschnitte aus dem Erlebnisbericht von Kevin: [45]

Die Hochzeit

Vorwort: Im Nachhinein kann man eigentlich mehr oder weniger behaupten, dass dies doch eine sehr kindische Idee war und man von Jugendlichen im Alter von 16-17 Jahren etwas mehr Ernsthaftigkeit erwartet. Aber na ja, was passiert ist, ist halt einfach mal passiert. (...)

Story: Es begann alles mit dem Mittagessen, als wir schon längere Zeit in Monino waren. Wir saßen alle bei Tisch und haben genüsslich gespeist. Nachdem ich mit meinem Mittag fertig war, stießen die einheimischen Dorfbewohner zu uns an den Tisch, um sich ihre Portion abzuholen. Neben mir auf der Bank war noch frei und eine Frau, der Name von ihr ist mir leider entfallen, saß plötzlich neben mir (so schnell konnte ich gar nicht gucken). Nach kurzer Zeit wurde auch schon ihr Essen von unseren freiwilligen Küchen- und Essensausgabeleuten rüber gereicht.

Diese Frau hatte ein süßes Baby auf ihrem Schoss (ihr eigenes, nehme ich an). Sie war damit beschäftigt die heiße Suppe langsam kühl zu pusten, damit es auch das Baby essen konnte ohne sich den Mund zu verbrennen. Als das Baby gesättigt war versuchte die Frau nun selbst etwas zu essen, doch ihr Kind zappelte so sehr, dass sie keine Ruhe mehr hatte. Sie hatte schon bemerkt, dass ich die beiden eine Weile beobachtet hatte und drehte sich plötzlich in meine Richtung, drückte mir ihr Baby in den Schoss und wandte sich ohne einen weiteren Blick ihrem Essen zu. Ich fand das einfach toll, da ich kleine Kinder (aber auch nur auf bestimmte Zeit) recht gut leiden konnte. Da ich schon eine Menge Erfahrung mit Kleinkindern hatte, begann ich mit ihm zu spielen und schnitt lustige Grimassen. Es gefiel ihm und er lächelte.

Die ganze Zeit aber drehte ich mich vom Tisch weg und hoffte bloß, dass mich niemand sah, wie ich mich wie eine "Mutter" mit ihm beschäftigte. Aber daraus wurde leider nichts. Mein Freund Philipp "Aua" Heyder fing plötzlich an rumzubrüllen: "Boah! Kevin? Wie bist du denn plötzlich Vater geworden? Was für ein süßes Paar? Süüüß!" Tja, und das war's dann wohl mit dem Geheimnis, denn nun wusste auch der Rest am Tisch bescheid.(...)

(Jemand nahm Kevin das Kind wieder ab und Zsofie tröstete ihn wohl mit den Worten, dass sie ja auch bald ein Kind bekommen würden. sic.)

Natürlich zog dieses Benehmen die Aufmerksamkeit der Gruppe manchmal auf sich und man hörte doch des öfteren mal: "Na wann ist denn die Hochzeit?" und "Wollt ihr nicht noch heiraten?"(...)

Nun verbreitete sich die Nachricht im ganzen Dorf und mir kam zu Ohren, dass sich die Nachricht auf Dörfer hier im Umkreis verbreitet haben soll. Die Vorbereitungen begannen, aber ich will noch erwähnen, es war ein hin und her.(...)

Janek und Maik bastelten den Altar, Maik bereitete sich zudem als Pfarrer vor mit einer grünen Decke als Umhang und das Gummiband der Isomatte als ziemlich unglaubwürdiger Heiligenschein. Julian checkte seine Kamera, Katja und Janine waren die Blumenmädchen. Matthias bereitete sich auf seinen Auftritt als Trauzeuge vor und Svetlana ebenfalls für ihren Teil als Begleiterin der Braut. Ich wurde von Frau Ahrens mit einem alten Jackett, von Hacki mit einem weißen T-Shirt ausgestattet. Dazu trug ich noch eine schwarze lapprige Jogginghose und meine üblichen Turnschuhe. Tja, so bin ich! Ich war ziemlich aufgeregt, denn es waren viele da, vor denen ich mich kräftig hätte blamieren können. Dann wollte Frau Ahrens wissen, ob ich so etwas besitze wie "Ringe". Häää? "Oh Scheiße, dass habe ich voll vergessen, ich wollte noch welche basteln, nun ist es aber zu spät!" sagte ich. Doch Frau Ahrens wusste Rat und wir gingen in den Werkzeugraum. Dort durchsuchte sie die Schubladen, schließlich fand sie nach einiger Zeit einen Dichtungsring und ich probierte ihn an. (...)

Nun ja, nach einigem überlegen und Diskutieren kamen wir auf den Entschluss, dass es einfach mal süßer wäre, wenn ein kleines Mädchen mir die Ringe auf einem Teller (alt russische Tradition) übergeben würde. Ich begab mich auf unser Fußballfeld, wo der Altar aufgebaut war und ein Radio für die Heiratsmusik stand. Annuschka brachte mir noch schnell eine braune Krawatte und sagte ihrer kleinen Tochter bescheid, mir später die Ringe zu übergeben.

Nach ein paar (nicht unbedingt wenige, so kam's mir vor) Minuten hatten sich alle versammelt und es konnte beginnen. Ich durfte natürlich nicht gucken, wie Zsofie auf dem Pferd angeritten kam, aber ich kann es mir sehr graziös bei Zsofie vorstellen. Schließlich hatte jeder seine Position eingenommen und Zsofie stand neben mir. Sie hatte sogar einen alten, weißen, von Motten zerfressenen Schleier (ich nehme an, dass das mal eine Gardine war) an, aber sie sah wunderschön aus.(...)

Dann kam die Stelle, wo das kleine Mädchen kommen sollte, doch ich musste leider selbst gehen, denn das Mädchen verstand ja kein Deutsch und wusste noch nicht, dass es schon so weit war.(...)

Nun war es soweit, der Punkt vor dem ich mehr oder weniger (eigentlich mehr bzw. ganz schön) Schiss hatte. Der Kuss! (...)

Nun drehten wir uns um und gingen unter Applaus und Beschuss mit Reis zur "Mensa" hinunter. Wo uns gratuliert wurde und Fotos von uns gemacht wurden. Jetzt holten die nette Frau Ahrens und Annuschka den Sekt raus, womit wir diesen Tag anstießen und Maik und Janek holten den Hochzeitskuchen (Hochzeitstorte), der aus Eierkuchen und Heidelbeersoße bestand.(...)

Aus dem Bericht geht hervor, wie aus einer spielerischen Idee fast 'Ernst' wurde. Man muss dazu sagen, dass Kevin und Zsofie kein Pärchen waren oder sind. Die Idee ging von den SchülerInnen aus und wuchs über mehrere Tage. Dabei beflügelte das 'Spiel' nicht nur zunehmend die Phantasie der SchülerInnen, sondern auch die Russinnen in Monino gingen mehr und mehr auf das Spiel ein und entwickelten ihrerseits weitere Ideen, was man dem Fest alles noch hinzufügen könnte. So kam es zu der Idee, dass die Braut auf einem Pferd herangeritten kommen müsse, und Marina, eine der Betreuten aus Monino, bereitete das Pferd vor. Annuschka improvisierte den Schleier aus ihrem Moskitonetz und mehrere russische Mädchen pflückten Blumen auf den umliegenden Feldern und flochten aufwendige Blumengirlanden, womit der 'Altar' (das Tor des Fußballfeldes) geschmückt wurde. Annuschka besorgte die 'Hochzeitsmusik', Igor besorgte den 'Sovejtskoe Schampanskoe', die kleinen Mädchen zogen ihre schönsten Kleider an und waren ganz aufgeregt und jemand sagte auch den Bewohnern der Häuser am Rande von Monino bescheid. So kamen tatsächlich fast alle Russinnen, die man sonst nie alle auf einmal zu Gesicht bekommen hat, aus ihren Häusern heraus und versammelten sich alle zu diesem merkwürdigen Happening auf dem Feld. Wobei meines Eindruck nach gerade eine gewisse Spannung darin lag, das man nicht so genau wusste, ob 'die Hochzeit' nun ernst oder nur ein Spiel sei. Insbesondere die meist orthodoxen Russinnen schienen zunächst verunsichert, was sie von dieser komischen Inszenierung halten sollten, aber schließlich sind sie alle mit auf dieses Spiel eingestiegen.

Ohne so recht zu wissen, was sie da eigentlich machen, haben die SchülerInnen hier durch ihr intuitives experimentierendes Verhalten ein interkulturelles Ereignis kreiert, das eine integrative Wirkung hatte, von den deutschen SchülerInnen mit den Russinnen, aber sogar auch von den Moninoern untereinander (da sie sonst nur bei größeren, 'echten' Festen alle zusammenkommen). Hier hat eine spielerische Annäherung zwischen den SchülerInnen und den Moninoern stattgefunden, die ganz von den SchülerInnen ausging.

5.2.4. "Angstfreiheit vor dem Fremden"

Beim Einstieg in diesen 'sehr russischen' Zug fand der zweite große Kulturschock statt: bei den russischen Zügen, die zwischen Moskau und Monino (bzw. "Zapadnaja Dvina", die Station in der Nähe von Monino) verkehren, handelte es sich um "platzkartnye Wagony". Das sind Züge, in denen der Wagon nicht durch geschlossene Abteile unterteilt ist, sondern alle "Abteile" mit je sechs Liegepritschen offen sind, wie ein "Großraumliegewagen". Durch die jahreszeitliche Hitze und die relative Enge und Fülle der Züge, sind intensive menschliche Gerüche charakteristisch. Bei den Fahrgästen handelt es sich vor allem um die russische Landbevölkerung, die zwischen den kleinen dörflichen Ortschaften reist oder die in Moskau zu Besuch war und nun wieder nach Hause kehrt.

Unsere Zugfahrkarten hatten wir nicht zusammenhängend kaufen können, sondern wir waren auf zwei Wagons verteilt, der uns begleitende Russe (ein Freund von mir), Igor, war mit einer Schülergruppe in einem, ich in einem anderen Wagon, damit wir für Probleme, Vermittlung, Hilfe zur Verfügung stünden. Jeweils in den Wagons waren wir auch über verschiedene "Abteile" verteilt, so dass immer 2-3 SchülerInnen mit Russinnen gemischt saßen.

Intuitiv ging ich, nachdem der Zug angefahren war, durch den ganzen Wagon und sprach mit den Russinnen und SchülerInnen (russisch und deutsch) der einzelnen "Abteile" und sorgte dafür, dass alle Rucksäcke unter den Bänken verstaut würden, Bettverteilungsfragen geklärt würden, erzählte den Russinnen, wann wir (nämlich früh morgens) aussteigen müssten, damit wir die richtige Haltestelle nicht verpassten, man klärte, wer früher, wer später aussteigen müsste, ich sagte den Russinnen, dass die SchülerInnen "sehr gut" Russisch sprächen und sie ruhig mit ihnen sprechen könnten etc.

Erst hinterher wurde mir klar, dass ich dadurch instinktiv die ersten Berührungsängste auf beiden Seiten etwas zerstreuen konnte und sich tatsächlich zwischen einigen Gespräche ergeben haben. Denn nachts kamen immer wieder SchülerInnen zu meinem "Abteil" (an meine Liege) und erzählten mir ganz aufgeregt: "Frau Ahrens, da hinten redet jetzt schon das ganze Abteil miteinander! und wir verstehen uns sogar irgendwie, auf Russisch, auf Deutsch, auf Englisch!" Ein anderer Schüler, Kevin, ein zunächst eher still und zurückhaltend wirkender, netter junger Mann, erzählte mir später in der Nacht:

"Frau Ahrens, wissen Sie was, ich hab mich da gerade mit einem Russen unterhalten, und der kannte mein Lieblingscomputerspiel! Das kennt in Deutschland sonst kaum einer, das war auch sein Lieblingsspiel!"

Worauf ich sagte:

"Da kann man mal sehen, da denkt man doch als Deutscher immer eher, dass die Leute in Russland rückständiger seien, und hier kann man sehen, dass die sich in Computer und Internet Sachen sehr gut auskennen, besser als viele Deutsche. Mich hat früher auch immer erstaunt, dass meine russischen Freunde genau die gleiche Musik hören wie ich, dass sie neue Musik genauso schnell wie wir kennen lernen...! Ich habe den Eindruck, dass meine russischen Freunde das Internet viel mehr nutzen und sich besser auskennen, als meine deutschen Freunde. Vielleicht hängt das ja damit zusammen, dass das Internet, nach der langen Zensur zu Sowjetzeiten, als Informationsbeschaffung aus aller Welt mit uneingeschränkten Möglichkeiten für Russen besonders reizvoll ist...?"

Kevin ging dann wieder in sein "Abteil" zurück und unterhielt sich weiter mit dem Russen.

Kevin hat hier die interkulturelle Erfahrung von grenzüberschreitenden Gemeinsamkeiten gemacht, worauf ich ihn nur indirekt aufmerksam gemacht habe. Ich habe ihm eine Verarbeitungshilfe angeboten, das überraschende auf eine Weise einzuordnen, die offenbar funktioniert hat, da er danach 'zufrieden' wieder in sein "Abteil" zurück ging. Die Tatsache, dass er offensichtlich das Bedürfnis hatte, mir (oder jemandem) das neu Erfahrene mitzuteilen, spricht dafür, dass es ihn überrascht oder bewegt hat, da er das u.U. von einem Russen (in dem Zug) nicht erwartet hätte. Da es sich um sein Lieblingsspiel handelte, dass wohl auch kaum jemand der MitschülerInnen kennt, handelte es sich hier um eine individuelle interkulturelle Erfahrung, die vielleicht 'irgendetwas' in Kevins persönlicher Weiterentwicklung bewirkt.

Für die Aufarbeitung persönlich bewegender Erlebnisse ist es wichtig, dass die SchülerInnen die Begleitung auch als Anlaufstelle wahrnehmen und sich trauen, sich an sie zu wenden, sich mitzuteilen. Meines Eindrucks nach ist mir das recht gut gelungen. (Zur besonderen Rolle der Vermittlungsarbeit: siehe späteres Kapitel)

Der Erlebnisbericht von Katja, der einen Muttersprachlerin, handelt von der Rückfahrt Monino - Moskau in dem gleichen Zug. Sie und Svetlana, die zweite Muttersprachlerin, haben sich hier "deutsch gestellt", damit die anderen MitschülerInnen im Gespräch mit den Russinnen auch einmal zum Zuge kommen.

Erlebnisbericht Katja:

Liebe Anna,

ich möchte dir von einer der lustigen Begebenheiten berichten, die sich auf der diesjährigen Klassenfahrt nach Moskau - Monino begeben haben. Wie so oft haben wir mal wieder eine Zugbekanntschaft gemacht und zwar auf der Rückfahrt von Monino nach Moskau. Da versammelte sch nun die Hälfte von uns in einem "Abteil" (es gab nicht wirklich Abteile im Zug; es waren eher Wagonabschnitte ohne Türen) und lernten 2 ca. 20jährige Russen kennen. Jedenfalls war Zsofie schon in einem Gespräch mit ihnen (mehr oder weniger), da kamen Sveta und ich dazu. Um die Sprache zu üben bat Zsofie uns, nicht den übersetzer zu spielen. Somit hielten wir "Muttersprachler" uns zurück, bis wir auf die Idee kamen Nicht-Muttersprachler zu werden. So versuchten wir uns eben in gebrochenem Russisch zu verständigen, was sehr amüsant war, da wir uns sehr das Lachen verkneifen mussten und die Jungen bzw. Männer nichts mitbekamen. Mittlerweile waren es schon 4, von denen mir die anderen beiden Moldawisch beibrachten. Diese begrüßten mich am nächsten Morgen auch schon wieder fröhlich mit einer Fahne. Wie auch immer wollten sie dann unsere Pässe sehen, da dachte ich schon, na ja jetzt müssen sie ja merken, dass ich wenigstens russische Abstammung habe, wegen dem Namen und Vatersnamen. Doch nein - sie fragten mich ob ich Polin bin! Ich erklärte ihnen dann, dass meine Mutter Russin ist (was ja stimmt), ich da aber nie gelebt habe (was auch stimmt) und deshalb kein Russisch kann. Gesagt - geglaubt. So ging das dann weiter, bis wir zu müde waren und keine Lust mehr hatten. Von unserem anfänglichen Vorhaben, sie am Ende aufzuklären, ließen wir dann auch ab und gingen schlafen. >

Auf der Rückfahrt waren die Mitreisenden im Zug offenbar gar nicht mehr fremd. Berührungsängste schienen gar nicht mehr zur Diskussion zu stehen, sondern Katja, Zsofie und Sveta haben sich sogar ein kleines 'Spiel' mit den Russen erlaubt, die natürlich ihrerseits sehr kontaktfreudig waren in dieser Situation, insbesondere bei so hübschen jungen 'deutschen' Mädchen.

Ich hielt mich dabei am anderen Ende des Wagons auf und bin nur selten an dem "Abteil" der Gesprächsrunde vorbeigelaufen (um Teewasser o.ä. zu holen). Ich hielt mich bewusst zurück und ließ sich die Schülerinnen allein bewähren, was auch sehr gut geklappt hat.

Auf der Rückfahrt Monino - Moskau habe ich den ersten Kontakt zwischen SchülerInnen und Russinnen nicht mehr - wie auf der Hinfahrt - vermittelt, sondern die SchülerInnen sind selbstständig mit den Mitreisenden in Kontakt getreten. Im Vergleich von Hin- und Rückfahrt von und nach Monino hat sich deutlich mehr "Angstfreiheit vor dem Fremden" eingestellt.

Ein weiteres Beispiel für die überwindung von Berührungsangst mit 'Fremdem' wird von Inka in ihrem Erlebnisbericht geschildert. Hier zeigt sich, dass das Gefühl von 'Fremdheit' nicht nur durch einen anderen kulturellen und sprachlichen Hintergrund bedingt sein kann, sondern auch durch eine andere physische und psychische Verfassung. Ilka schildert hier, wie sie sich dem autistischen, taubstummen Kirjuscha genähert hat.

Erlebnisbericht Inka:

Grüße aus Monino!

Na meine Liebe, ich kann dir gar nicht von allem berichten, was ich hier erlebe. Aber gestern hatte ich ein wirklich einprägendes Erlebnis. Es gibt im Dorf doch verschiedene Behinderte. Der auffälligste unter ihnen ist Kirjuscha. Er ist autistisch, taub und kann kaum sehen, weswegen er eine sehr klobige Brille tragen muss. Er war mir immer ein wenig unheimlich, weil er dir beim Kochen ständig über die Schulter schaut und auch nicht gerade vertrauenserweckend aussieht. Na jedenfalls war ich gestern mit Tobias Holz holen und da fand ich doch tatsächlich seine Brille, die er seit ein paar Tagen vermisste. Wir haben ihn dann gleich aufgesucht und sie ihm gegeben. Er hat sich so gefreut und in diesem Moment war er mir gar nicht mehr so unheimlich. Annuschka meinte, dass er mir als Dank auf ewig treu sein wird.

Als wir am selben Tag wieder an unserem Zaun arbeiteten, kam Kirjuscha auch dazu und wollte helfen. Ich war gerade dabei, Bretter zu zersägen und brauchte jemanden, der das Brett festhält. Da von unseren Herren der Schöpfung keine Hilfe zu erwarten war, dachte ich mir, dass Kirjuscha solche Arbeit sicher auch hinbekommt. Doch wie zeigt man einem tauben Menschen, was er tun soll? Frau Ahrens hat uns erklärt, dass man ihm einfach auf die Schulter tippen kann und ihm vormachen muss, wie er einem helfen kann. Das tat ich dann auch und war ganz stolz wie er sofort begriffen und umgesetzt hat. Von da an war er mein "kleiner Helfer": er hat die Bretter gehalten, sie durchgebrochen, zusammen mit mir zersägt und das Holz anschließend zur Feuerstelle gebracht.

Ich hätte nie gedacht, dass er so schnell begreift, so hilfreich sein kann und ihm die Arbeiten auch noch solchen Spaß machen. Ich habe ihm dann Süßigkeiten geschenkt und er ist quietschvergnügt gegangen. Mir ist dann erst aufgefallen, dass er im Dorf eine große Hilfe darstellt. Beim Kochen hilft er zuzubereiten, er hilft bei Bauarbeiten am Haus, bringt den Müll weg, holt ständig frisches Wasser und kann auch sonst viele Arbeiten verrichten. Alles in allem ist Kirjuscha bleibendste und beeindruckendste Erfahrung aus Monino.

Nicht nur Inka hat ihre Angst gegenüber Kirjuscha überwunden. Die anderen SchülerInnen beobachteten zunächst einige Tage, wie die Russinnen und ich mit ihm umgehen, wie wir mit ihm kommunizieren (alle sprechen trotz seines Taubseins auch verbal mit ihm) und ihn bei der Essensvorbereitung und beim Essen integrieren. Nach einigen Tagen trauten sich dann immer mehr SchülerInnen, mit Kirjuscha zu kommunizieren und ihn beim Kochdienst und beim Abwaschen mit einzubeziehen.

Hier war zunehmende Angstfreiheit vor dem Fremden auf einer zusätzlichen Ebene zu beobachten.

Außerdem zeigt sich an diesem Beispiel, dass Komponenten von interkultureller Kompetenz mit denen von sozialer Kompetenz ineinander greifen. In sozialer Hinsicht sind die SchülerInnen an Kirjuscha gewachsen.

5.2.5. "Die Fähigkeit, Konflikte auszutragen"

5.2.5.1. "Gemischtkulturelles Kochen"

Das von den SchülerInnen selbst organisierte Kochen auf der Feuerstelle hat mehrere Tage lang weniger gut geklappt und sie hatten Schwierigkeiten, die gekauften Lebensmittel sinnvoll einzuteilen, so dass sie für acht Tage reichen würden und nicht z.B. alle (nur mit zweistündiger Autofahrt in Andrejapol zu kaufenden) Eier schon an den ersten beiden Tagen verbraucht waren. Da unser Hauptaufenthaltsort, die Stolovaja, zunehmend doch auch für immer mehr Russinnen zu einem Anziehungspunkt wurde, da hier "immer etwas los war", kam von Annuschka, einer russischen, langjährigen Freundin von mir, die mit einem Deutschen verheiratet ist und mehrere Jahre mit ihm und Familie in Monino fest gelebt hat, der rettende Vorschlag, dass sie die Hauptmahlzeit und deren Zubereitung, das Mittagessen, in die Hand nehmen könnte. Das hieß, dass sie sich zur Verfügung stellte, jeden Tag mit zwei SchülerInnen (oder BegleiterIn) die Essenszubereitung zu organisieren. Ich klärte dann mit den SchülerInnen, ob sie damit einverstanden wären, dass Annuschka das Mittagessen in die Hand nimmt und ob wir die Russinnen aus Monino aktiv zum Mittagessen einladen wollen, da das eine gute Kontaktmöglichkeit darstellen würde. Die SchülerInnen waren einverstanden. Sie erstellten dann einen Essensdienstplan für die verbleibenden sechs Tage und Annuschka einen Essensplan nach Maßgabe der vorhandenen und kaufbaren Lebensmittel. Dadurch wurden die Mittagessen zu 'echt russischen', d.h. es gab immer Suppe als ersten Gang ("Pjervoe") und meist gebratenes Gemüse mit Reis/ Nudeln/ dem berühmten russischen Getreidebrei "Kascha" oder Kartoffeln als zweiten Gang ("Vtoroje"). Zunächst fanden die SchülerInnen das noch interessant, später beschwerten sie sich zunehmend über die relative Eintönigkeit und Fleischlosigkeit. Ich versuchte vermittelnd zu erklären, dass es in Monino eben schwierig sei, überhaupt Lebensmittel zu beschaffen und das die, die man in den umliegenden Dörfern und in der Kreisstadt Andrejapol kaufen kann, eben russisch seien, und dass die Fleischversorgung dort auf dem Land insgesamt sehr schwierig sei.

Da "unsere" Stolovaja mehr und mehr zum Hauptpunkt des Gemeinschafts-lebens von Monino wurde (sonst leben die einzelnen Familien oder Hausgemeinschaften eher ihr separates Leben), kamen einige Russinnen nicht nur zum verabredeten Mittagessen, sondern auch zum Abendessen. Da der Kochdienst für das Abendbrot aber davon ausgegangen war, dass er nur für uns Deutsche kochen müsse (also für 17 anstatt für 27 Personen), reichte das Essen, bei dem sich die SchülerInnen zudem besondere Mühe gegeben hatten, es möglichst 'deutsch' zu machen (Bratkartoffeln für alle der Reihe nach in drei Pfannen) nicht für alle. Nach dem Abendessen kam es zu einer Auseinandersetzung. Es entstand in der Stolovaja ein Gespräch, an dem Igor, Annuschka und eine weitere Russin, Jana, teilnahmen. Gemeinsam wurden die Probleme ausgetauscht, meist auf deutsch (Annuschka und Jana, die fast zwei Jahre in Deutschland gelebt hat, sprechen 'leider' beide sehr gut deutsch): die SchülerInnen wollten abends "auch mal unter sich" sein, nicht so viel Abwasch machen müssen, mehr deutsch kochen können, da weniger Portionen etc. Ich hielt entgegen, dass es aus russischer Sicht wahrscheinlich weniger nachvollziehbar, wenn man eine so strikte Trennung macht zwischen Mittag- und Abendessen, d.h. wenn sich die Moninoer mittags gerne dazugesellen dürften, abends hingegen auf einmal ungebeten seien (was aus russischer Sicht, wie ich glaube, tatsächlich sehr 'typisch deutsch' wirkt). Annuschka und Jana schlugen vor, dass die mitessenden Russinnen in den Essendienstplan mitaufgenommen würden, dass sie also selbstverständlich genauso viel kochen und abwaschen müssten.

Das Bemerkenswerte an dieser Situation war die Tatsache, dass Jana und Annuschka hier große interkulturelle Kompetenz zeigten, da sie beide über intensive, persönliche interkulturelle Erfahrung verfügen. ZEUTSCHEL [46] schreibt zu "Angehörigen der Gastgeberkultur, die selbst über fremdkulturelle Erfahrung verfügen":

"Sie haben meist einen höheren Bewusstheitsgrad über eigenkulturelle Besonderheiten erlangt als ihre Landsleute und wissen um die kulturelle Relativität von Grundwerten und überzeugungen, die ohne fremdkulturellen Erfahrungshintergrund meist als naturgegeben und unabdingbar betrachtet werden."

Die Hauptvermittlungsarbeit wurde hier von Annuschka und Jana geleistet. Das Angebot der Mithilfe beim Koch- und Abwaschdienst von russischer Seite wurde von den SchülerInnen dankend angenommen (alles was die Verkürzung von Arbeitszeiten versprach war den SchülerInnen stets sehr willkommen). Dies Angebot, das Argument, dass eine strikte Trennung von 'Mittagessen mit Moninoern' und Abendessen aber 'ohne Moninoer' aus anderer Sicht wenig nachvollziehbar sei und das Argument, dass die gemeinsamen Mahlzeiten eine gute Kontaktmöglichkeit darstellen überzeugten schließlich die SchülerInnen und führten zu dem Beschluss, "gemischt kulturell" zu kochen und mittags und abends gemeinsam zu essen. (Das Frühstück nahmen die Russinnen mit ihren kleinen Kindern lieber zuhause ein.)

Ein konkreter Konflikt - das Abendbrot, das nicht für alle reichte - wurde hier, vermittelt durch Annuschka, Jana und mich, gemeinsam mit den SchülerInnen in einer russisch-deutschen Diskussion ausgetragen. Die SchülerInnen konnten hier üben, einen russisch-deutschen Konflikt auszutragen und gemeinsam zu einer Lösung zu kommen.

5.2.5.2. "Dorfdisko"

Die Milch für unseren allmorgendlichen Frühstückbrei musste aus dem Nachbardorf (zwei km zu Fuß) jeden Abend um die gleiche Zeit bei einem Bauern geholt werden. Da Annuschka Kevin am ersten Abend mitnahm, um ihm den Weg zu zeigen, traf das Los Kevin auch an folgenden Abenden, da er als einziger den Weg kannte. So ging er jeden Abend gegen neun Uhr mit ein oder zwei weiteren Schülern nach "Spiridovo" zu dem Bauern. Sogar wenn es regnete, trugen die Schüler die zwei Drei-Liter-Gläser bis nach Monino (über ihre Einsicht in die Notwendigkeit dieser Aufgabe freute ich mich). Die jungen Mädchen aus Spiridovo haben natürlich nach kürzester Zeit mitgekriegt, dass da jeden Abend immer so interessante ausländische junge Männer durch ihr Dorf laufen und sich 'unauffällig' zur richtigen Zeit an die Stelle gestellt, wo Kevin und seine Begleiter vorbeikamen. (Mir wurde die Situation nicht nur von den Schülern, sondern auch von meinen russischen Freunden, die ihrerseits in Spiridovo gewesen waren und mit dem Bauern gesprochen hatten und sich köstlich amüsierten. (Natürlich wissen alle umliegenden Dörfer immer ganz genau Bescheid, wenn wieder einmal ausländische Gäste da sind; alle Dörfer sind so klein und jeder kennt jeden.) So haben die deutschen Jungen und russischen Mädchen sich dann also kennengelernt. Wenn die Schüler vom "Milchholen" zurückkamen (das sich merkwürdigerweise zunehmender Beliebtheit erfreute), erzählten sie immer ganz stolz und begeistert, wie viel sie auf Russisch ausdrücken konnten, und dass sie tatsächlich eine kleine Unterhaltung hinbekommen haben. Sie berichteten auch, dass die Mädchen auch ein bisschen Deutsch konnten. (Was bei der Abgeschiedenheit von Spiridovo überraschte.) Am fünften Abend schließlich luden die russischen Mädchen die deutschen Jungen zur Dorfdisko im Nachbardorf "Chotilize" ein. Ganz aufgeregt kamen die Jungen zurück nach Monino und baten um die Erlaubnis, auf die Einladung einzugehen. Ich ließ mich von meinen russischen Freunden beraten und wir beschlossen, dass es dabei kein Problem geben dürfte. [47]

Als Vorbereitung für mögliche Kontaktsituationen mit alkoholisierter Dorfjugend griff ich Igors Tipp auf, den Schülern eine "Deeskalationsstrategie" zu empfehlen: wenn betrunkene, minderbemittelte Dorfjugend angriffslustig würde, sollten die Schüler freundlich lächeln, nett grüßen und die Dorfjugend ggf. zu einem Getränk einladen, um den Konflikt so friedlich zu lösen. Auf dem Rückweg von der Dorfdisko - ein längerer Fußmarsch "durch die Pampa" (über die Sandstrassen) - ergab sich dann tatsächlich eine potentielle Konfliktsituation. Es folgt der Erlebnisbericht von Matthias:

Disco

Als Maik, Philipp H., Kevin und ich erneut Milch holen musste haben wir zufälligerweise zwei Russinnen getroffen, mit denen wir uns dann mit unseren exzellenten Russischkenntnissen perfekt unterhalten konnten. Als wir nach ca. 20 - 30 min durch Einsatz von Händen und Füßen und mehrmaligem Sagen von: "Повтори пожалуйста" ("Wiederhole bitte", sic.) mitbekommen haben, dass sie uns und unsere Sippe in eine sogenannte Schuldisco eingeladen haben, konnten wir das natürlich nicht ablehnen und haben somit zugesagt, nicht wissend, dass die Disco sich noch mal 1,5 Std. Fußmarsch weg vom Dorf befindet.

Als wir uns dann abends alle (die bis dahin noch nicht krank waren) mit den Mädels getroffen hatten, machten wir uns also auf den Weg in das "Nachbar"- Dorf. Dort angekommen war es bereits tiefste Nacht. Nachdem wir uns dann ca. 10 min in der Disco aufgehalten haben und uns klar wurde, dass der 1,5 Std. Weg dahin sinnlos war, wollten wir uns wieder auf den Rückweg machen, zu unserem Bedauern sind wir nicht alleine losgegangen. Nachdem uns ein paar Russen mit ihren tollen Mopeds und dem tollen Lada ein paar mal überholt hatten und sich vor uns quer hingestellt hatten, wurde es uns langsam unheimlich. Es hat sich aber herausgestellt, dass diese bloß eine "gepflegte Konversation" mit uns Deutschen halten wollten als unser "Held" in dieser Situation, Kevin, auf die Russen zugegangen ist und mit den legendären Worten: "Привет! Меня зовут Кевин!" ("Hallo, ich heiße Kevin!" sic.) und damit die Situation entschärft hat. Nachdem sich jeder in der Runde mal vorgestellt hat, durften wir uns dann auch wieder auf unseren schön langen Rückweg freuen, um mit den Gedanken schon wieder der Freude des nächsten Arbeitstages beizuwohnen.

Kevin "der Held" hat in dieser Situation genau das befolgte, was wir ihm aufgetragen hatten: Er ging freundlich auf die zwei betrunkenen, augenscheinlich angriffslustigen Russen aus Chotolize zu, streckte ihnen die Hand entgegen (eine in Russland eher unübliche Geste der Begrüßung, die aber trotzdem jeder kennt) und sagte die legendäre Begrüßung. Damit war offenbar das Eis sofort gebrochen und die Russen reagierten ihrerseits freundlich und gaben dann vor, dass sie sich nur "nett mit den Deutschen unterhalten" wollten.

Hier muss man sagen, dass Kevin - mit der Vorbereitung durch Igor und mich - tatsächlich erste Ansätze von interkultureller Kompetenz gezeigt hat. Er hat die Angst vor 'dem Anderen' überwunden (siehe Matthias Bericht: "es wurde uns langsam unheimlich") und hat den ersten Schritt auf die Russen zu gemacht, die freundliche Begrüßung wurde von der anderen Seite als Freundschaftsangebot richtig verstanden. Nach Kevins erstem Schritt aus der deutschen Gruppe heraus haben sich wohl auch weitere MitschülerInnen getraut, etwas Russisches zu sagen. Dann ist auch Sveta (die Muttersprachlerin) vermittelnd tätig geworden und hat den Russen erklärt, wer sie seien und was sie hier in der Gegend machen.

Von russischer Seite aus ist zu vermuten, dass es sich bei den beiden russischen Jugendlichen wahrscheinlich ihrerseits um einen Annäherungsversuch gehandelt hat an 'das Fremde'. Für sie sind Deutsche und überhaupt Ausländer tatsächlich gänzlich fremd, weil sie ob der Abgelegenheit wahrscheinlich noch nie welche getroffen haben! Ihre Methode der Annäherung erscheint aus deutscher (anderer) Perspektive recht fragwürdig, da sie aggressiv wirkt. Das war offenbar die einzige Möglichkeit, die diese Dorfjugend sah, einen Kontakt zu diesen 'fremden Eindringlingen' in diese abgelegene Gegend herzustellen. Ich vermute, dass es sich bei den beiden Russen um eine Mischung aus 'Verteidigung des eigenen Reviers', Angst vor 'dem Fremden' und gleichzeitig aus Neugierde und Interesse an diesen Fremden gehandelt hat. Wären die (gebildeteren) deutschen Schüler nicht freundlich auf sie zugegangen, hätte diese Situation leicht eskalieren können. So müssen diese russischen Jugendlichen das Bild gewonnen haben, dass zumindest diese deutschen Jugendlichen keine "deutschen Faschisten", [48] sondern ganz normale Jugendliche sind wie sie, die also auch Probleme in der Fremdsprache haben, die auch nachts in Diskos gehen und sich ebenfalls für Mädchen (bzw. Jungen) interessieren.

Mit dem mutigen Beispiel von Kevin haben die SchülerInnen hier unter Beweis gestellt, dass sie eine interkulturelle Konfliktsituation friedlich auflösen können.

5.3. Weitere Situationen

5.3.1. Das Lagerfeuer

Als eine weitere interkulturell relevante Situation, die aber nicht direkt den Teilfähigkeiten interkultureller Kompetenz zuzuordnen ist, sei das fast allabendliche Lagerfeuer erwähnt. Auf dem Hügel an der dafür vorgesehenen Stelle machten die Schüler fast jeden Abend eigenständig ein Lagerfeuer, spielten Gitarre und sangen englische, deutsche und russische Lieder. Die Moninoer gesellten sich immer wieder locker dazu. Vor allem an den beiden Wochenenden unseres Aufenthaltes kamen zusätzlich Freunde aus Moskau vorbei (leider meist nicht im Alter der SchülerInnen). Dann wurde das abendliche Lagerfeuer zum Hauptversammlungsort. Ein Abend wurde der Geburtstag eines Russen, "Maikl", gefeiert. Dazu wurde am Lagerfeuer Tee und Torte gereicht und die Gitarre ging nach alter russischer Tradition im Kreis, d.h. jeder ist einmal an der Reihe mit spielen und singen. Dabei waren die SchülerInnen überrascht und beeindruckt, dass nahezu jeder Russe und jede Russin Gitarre spielen und singen kann ("Die können ja alle Gitarre spielen und singen!"). Allerdings konnten vier deutsche Schülerinnen sehr gut vierstimmig und im Kanon singen, was dann wiederum die Russinnen begeisterte, wo sie sagten, dass ihre Jugendlichen so etwas nicht könnten.

Da unsere Fahrt um den 21. Juni stattfand, waren fast "weiße Nächte", d.h. es wurde die ganze Nacht nicht richtig dunkel, sondern man konnte die Sonne direkt unterm Horizont weiterwandern und dann gleich wieder aufgehen sehen. So saßen wir manches mal bis tief in die Nacht bzw. in den frühen Morgen hinein gemeinsam am Lagerfeuer und tauschten uns - Russen und Deutsche, jung und alt - auf Russisch und auf Deutsch über Gott und die Welt aus.

5.3.2. Die "Stadtrallye"

Aus der geplanten Stadtrallye in Moskau ist ein Erkundungsspaziergang geworden. Im Vorfeld der Reise telefonierte ich mehrfach mit den russischen Jugendlichen (19-20jährig) bzw. mit Sonja, mit der ich die Stadtrallye organisierte. In den Gesprächen wurde mir klar, dass eine Stadtrallye offenbar etwas 'typisch westliches' darstellt, auf jeden Fall aus russischer Perspektive eher absurd wirkt. Russinnen können sich auch einfach so mit Interesse eine Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten ansehen, ohne dass diese Handlung durch ein Rahmenprogramm mit lustigen Aufgabenstellungen, Wettlauf der verschiedenen Mannschaften etc. einer Rallye "aufgepeppt" werden müsste. So beschlossen Sonja und ich also, die gemeinsame Unternehmung, die dem Kontakt und der Erkundung der Stadt dienen sollte, zu einem Stadtspazierung in verschiedenen Gruppen umzufunktionieren.

So trafen wir uns also an unserem ersten Tag in Moskau mittags am Puschkindenkmal mit Sonja, Jegor, Mitja, Lera und mit der Moskauer Freundin von mir, Katja, die die SchülerInnen schon aus der Vorbereitungszeit kannten. Die vier Erstgenannten gingen dann mit den SchülerInnen ohne mich auf den gemeinsamen Spaziergang. Später teilten sie sich (auf meinen Vorschlag hin, damit sie eher miteinander ins Gespräch kämen) in zwei russisch-deutsche Gruppen und gingen weiter auf Erkundung durch die Stadt. Da es ein sehr heißer Tag war, führten die Russinnen die SchülerInnen zu einem großen Springbrunnen, in dem man "baden" konnte.

Abends kehrten die SchülerInnen begeistert von Moskau und den russischen jungen Leuten zu unserem Treffpunkt zurück. (vgl. die positiven Rückmeldungen im Reflexionstreffen). Wir luden die Russinnen dann noch mit uns in eine Kneipe ein, wo später ein Jazzkonzert stattfinden sollte. Bei dieser Einladung erwies sich übrigens einer der Schüler als interkulturell kompetenter als ich: nachdem ich den Russinnen gegenüber zweimal die Einladung in die Kneipe ausgesprochen hatte und sie sich immer noch nicht so recht entscheiden konnten (in Russland muss man eine Einladung schon sehr deutlich und mindestens dreimal wiederholt, aus deutscher Sicht fast aufdringlich, aussprechen...) handelte Philipp 'intuitiv interkulturell' richtig und überredete Jegor, Mitja und vor allem Lera (die ihm nämlich besonders gefallen hatte) richtiggehend, wonach sie dann sehr gerne mitgekommen sind! In der gemütlichen, schummrigen Kneipe ergaben sich dann die verschiedensten Gespräche, auf Russisch, Englisch und Deutsch. (Mitja sprach 'leider' viel zu gut deutsch, mit Lera musste Philipp dann schon russisch oder etwas englisch reden.) Katja, die Muttersprachlerin, unterhielt sich wiederum angeregt mit Mitja auf Russisch. Es kamen dann sogar noch weitere Freunde von mir vorbei, so dass sich eine bunte, große, russisch-deutsche Runde ergab.

Daran schloss sich noch ein gemeinsamer Spaziergang durch das nächtliche, erleuchtete Moskau, durchs Zentrum, über den Roten Platz und über eine der vielen großen Brücken über den Fluss Moskwa an, von dem wir alle ganz berauscht mit der letzten Metro in die Schule fuhren.

5.4. Die besondere Rolle der Vermittlungsarbeit

5.4.1. Zugfahrten

Bedingt durch die stets längeren Zugfahrten in (und nach) Russland, ergaben sich in den Zügen außerhalb der Abteile im Gang und am Ende des Wagons häufig auf lockere und natürliche Weise kleinere Gesprächsrunden zwischen den SchülerInnen und mir. Dabei ging es meistens um russisch-deutsche Unterschiede, wobei ich durch Erklärungen und Hintergrundinformationen eigentlich permanent 'interkulturell vermittelnd' tätig war. So erzählten mir bei dieser Gelegenheit z.B. einige Schüler ganz aufgeregt von ihrer Begegnung mit einigen weißrussischen (oder russischen) Arbeitern auf einem Bahnhof, die sie nämlich fotografiert hatten (Julian immer mit seiner Videokamera!!), die dann ihrerseits 5 Euro dafür haben wollten. Daraufhin seien die Schüler schnell in ihr Abteil geflüchtet und hätten sich mutig eingeschlossen... Ich erklärte ihnen, dass Arbeiter in Weißrussland wie Russland sehr arm seien, wahrscheinlich nicht mal 50 Euro im Monat verdienen und dass sie, die Schüler, im Vergleich zwangsläufig als reich erscheinen müssen und dass Fotografieren dann immer ein geeigneter Anlass ist zu versuchen, ein wenig Geld dazu "zu verdienen".

Hier zeigt sich, wie zweckmäßig die "Pausen" auf dem Gang im Zug waren, da ich dabei eine neutrale 'Anlaufstelle' darstellte, der die SchülerInnen alle möglichen neuen Eindrücke erzählen konnten. Extra in mein Abteil wären sie sicher nicht hineingekommen, um mir all ihre Erlebnisse und Eindrücke zu erzählen, da wäre eine zu große Hemmschwelle gewesen. Hingegen bei dem Gang oder dem "Raum" zwischen den Wagons handelt es sich um 'neutrales Terrain' (nicht um 'das Abteil des Lehrers'), auf dem man sich eher gleichberechtigt treffen kann, wodurch sich die SchülerInnen sicherlich eher trauen, auch persönliches zu erzählen, preiszugeben, was sie bewegt. ZEUTSCHEL (1988) [49] zur Rolle des "Mentors" (der pädagogischen Begleitung) im interkulturellen Lernprozess:

Außerdem bietet der individuelle Kontakt mit Mentoren gute Möglichkeiten, sehr gezielte Rückmeldungen über die eigene Verhaltensangemessenheit zu erhalten, die sonst nur indirekt aus den Reaktionen anderer zu erschließen sind. Bei Gruppenprogrammen sollten den Teilnehmern zu diesem Zweck individuelle Kontaktgelegenheiten ermöglicht werden. (ebd.)

Auch wenn die SchülerInnen ihre Eindrücke bei mir nur loswerden konnten, war das eine Art der Eindrucksbewältigung. Und bei Unklarheiten konnte ich so, ohne dass es wie ein pädagogisches Gespräch wirkte, eingreifen und vermitteln, um der Verarbeitung zu helfen. Wie THOMAS (S.38f.) betont, muss Andersartiges nicht nur als solches festgestellt werden, sondern "die Eindrücke müssen zu widerspruchsfreien, stimmigen, den kulturellen Besonderheiten des Landes gerecht werdenden Bildern zusammengefügt werden". Die Verarbeitung erfolgt nicht nur auf rationaler Ebene, sondern auch emotional. Insbesondere bei deutlichen Diskrepanzen bedürfen die SchülerInnen der Verarbeitungshilfen durch die/ den Begleiter/in.

ZEUTSCHEL (S.198) weist außerdem darauf hin, dass es wichtig ist, dass "Rückmeldungen auf nichtbedrohliche und selbstwerterhaltende Weise" gegeben werden. Dazu eignete sich das 'neutrale Terrain' der Zuggänge besonders gut.

5.4.2. Kartenspielen

Auch das gemeinsame Kartenspielen in Monino in der "Stolovaja" - unser großer Holztisch mit Bänken bei der Feuerstelle, der zu unserem Haupt-aufenthaltsort wurde (ein anderer Gemeinschaftsort stand nicht zur Verfügung) - fungierte als "Anlaufstelle" für alle möglichen Sorgen und Mitteilungen. Das Kartenspielen ging von den SchülerInnen aus, wozu sie mich einluden. Dadurch, dass es sich hier wiederum um "neutrales Terrain" handelte (anders als etwa in mein Zimmer im Haus kommen zu müssen, um mir etwas mitzuteilen oder mich etwas fragen zu können) und dadurch, dass das Kartenspiel ihre Initiative war, stellte diese Situation häufig die "Verarbeitungsstelle" von interkulturellen Erfahrungen und Eindrücken dar.

Die SchülerInnen wunderten sich nach einigen Tagen des regelmäßigen Kartenspielens in der "Stolovaja" - und nachdem klar wurde, dass sich der Kontakt zu den in Monino lebenden Russinnen langsamer einstellte als erwartet -, warum die Russinnen denn nie zu ihnen zum Kartenspielen dazustießen. Ich erklärte ihnen, dass die meisten dazu gar keine Zeit hätten, dass sie mit ihren Kindern und den verschiedensten Arbeiten mehr oder weniger den ganzen Tag beschäftigt wären und dass man Russinnen ansonsten direkt und explizit einladen müsste zum gemeinsamen Kartenspielen, da sie sich sonst so einfach nicht trauen würden, sich u.U. aufdringlich fühlen würden und dass so eine Gruppe deutscher Jugendlicher nach außen wahrscheinlich eher wie eine geschlossene Gruppe wirke, an die man sich auch nicht heran traut. (Was Sonja im Reflexionstreffen später aus ihrer Sicht bestätigte.)

5.5. Die Reflexionstreffen

5.5.1. Reflexionstreffen I

Am fünften Tag in Monino berief ich ein Treffen mit allen deutschen SchülerInnen ein. Mit erschien der Zeitpunkt günstig, da schon genügend viel passiert war, die SchülerInnen also viele Erfahrungen gemacht hatten, über die man sich austauschen könnte. Ich deklarierte es vor den SchülerInnen als Treffen "für eine erste Zwischenbilanz" im Allgemeinen; hierbei wollte ich eine erste allgemeinere Rückmeldung seitens der SchülerInnen bekommen und schon mal ein bisschen in Richtung interkulturelle Erfahrungen lenken. (Unmittelbar an ein konkretes interkulturelles Erlebnis angeschlossen war dann das zweite Reflexionstreffen, nämlich nach dem Dorfdiskobesuch.)

Zunächst beantworteten die SchülerInnen in Einzelarbeit folgende Fragen:

1.)Was regt mich besonders auf?

2.) Was hat mir viel Spaß gemacht/ was hat mich besonders gefreut?

3.) Was hat mich in Russland total überrascht?

4.) Was ist mir beim Kontakt mit Russen besonders aufgefallen?

Die gegebenen Antworten waren folgende (Wiederholungen werden ausgespart):

1.) Was regt mich besonders auf?

Insekten/ Arbeit (Unkraut, Zaunbau,)/ Wetter/ Essen/ dreckiger See/ zu selten Banja (russ. Sauna-Waschhaus)/ Krankheit/ das Rumgenöle der anderen (z.B. übers Essen)/ keine Jugendlichen/ das ständige Rumgepöbel wer nun mehr oder weniger arbeitet/ rummeckernde Jungs/ zu wenig Freizeit/ dass die russischen Jugendlichen uns Faschisten nennen/ Abwasch/ Talkrunden (= das Reflexionstreffen sic.).

2.) Was hat mir viel Spaß gemacht/ was hat mich besonders gefreut?

"Kochen/ Zelten/ Kartenspielen/ Gruppenzusammenhalt/ Moskau/ der hauptsächlich lustige Kontakt mit Russen/ große Selbständigkeit in Moskau/ Zugfahrt/ Freunde von Ahrens/ Kommunikation mit Russen/ am Lagerfeuer sitzen/ die Arbeit/ dass sich Freunde von Fr. Ahrens bereit erklärt haben, uns zu begleiten/ die Rundgänge in Moskau (einzeln mit den Russen)/ der Jazzabend/ die Banja/ alle zusammen an einem Tisch/ in Monino ankommen/ im Stall wohnen/ die Landschaft/ anfangs noch das Essen überm Feuer kochen/ dass man sich selbst versorgen muss/ Baden im Fluss/ über die Dusche in Moskau und die Schule in Moskau allgemein.

3.) Was hat mich in Russland total überrascht?

Monino hat Schnurlostelefon/ dass so viele krank werden/ kaum Behinderte (dachte es wären mehr!)/ viele Russen in Monino nehmen kaum Kontakt auf (grüßen nie zurück)/ große Armut/ dass Russen relativ gut Deutsch sprechen/ Hitlergruß/ dass es die versprochene Arbeit nicht gibt (Zaun anstatt Hausbau, sic.)/ jeder 10. hat eine viel zu große Mütze auf/ alles recht militaristisch (Moskau)/ Hygienezustand (Monino)/ "Massen" an Kleinkindern (Monino)/ "Effektivität" ihrer Gartenarbeit (= rückständig)/ McDonalds/ die Unfreundlichkeit der Leute/ die Preise (Unterschied Moskau - Monino)/ dass Moskau so schön ist, und Monino so unschön (= Insekten, Hygiene)/ alles ist sooo billig/ die Plumpsklos sind besser als ich dachte/ es gibt sehr viele Kinder im Dorf und viele können gut Deutsch/ das Essen ist sehr einseitig/ nachts wird es kaum dunkel/ saubere Strassen (Moskau)/ ich hab mir Monino als ganz einsames Dorf ohne Nachbardörfer und sowieso ganz anders vorgestellt, bin aber nicht negativ überrascht/ dass die Leute so freundlich sind/ Nichts/ dass man hier so schnell krank wird/ die hygienischen Umstände (habs mir zwar schlimmer als bei uns vorgestellt aber nicht so schlimm...)/ das Essen...(habs mir besser vorgestellt)/ der dreckige See (durch die Kühe).

4.) Was ist mir beim Kontakt mit Russen aufgefallen?

vergleichen Deutsche sofort mit Hitler/ gehen sofort auf uns zu/ wollen Zigaretten haben/ sehen uns wirklich als reich an!/ begaffen einen erst mal/ Verständigungsprobleme/ viele bringen Deutsche mit Hitler in Verbindung - der Rest ist freundlich und zuvorkommend/ freundlich / aggressiv (Heil Hitler)/ hilfsbereit/ mütterlich (die Frauen)/ herzlich/ nett/ redefreudig/ aufgeschlossen/ Unfreundlichkeit/ gastfreundlich/ zu schnell beim Reden/ manchmal aggressiv/ einige haben Vorurteile/ Kontaktfreudig (Zugfahrt), kaum Kontaktaufnahme (Monino)/ unfreundlich (die meisten)/ trinken zu viel (im Dorf und auch im Zug)/ dass ich kein Russisch kann/ sie müssen lange warm werden bis sie von alleine auf einen zugehen/ sie sorgen sich sehr um die Kranken und sind hilfsbereit (besonders die Kinder beim Abwasch)/ sehr höflich/ dass einige Leute hier so freundlich sind im Zug nach Monino: da gab mir die eine Frau ein Laken und war total nett, in der Turnhalle (in der Moskauer Schule, sic.): der Hausmeister war auch sehr lieb und hat uns Mittag angeboten, in Monino: Dass die Leute sich hier alle um einen kümmern, wenn man krank ist/ etwas schüchtern aber sehr gastfreundlich/ sie sind auf jeden Fall anders als Deutsche/ viel arbeitsamer/ reden nicht so viel und die Russen, die hier sind, scheinen auch eher etwas reservierter zu sein. Aber das ist ja verständlich, immerhin kennen sie Deutsche schon und zweitens sind wir nicht in ihrem Alter. Die Leute aus der Disco wollten hingegen unbedingt Kontakt mit uns, und belästigten uns regelrecht. Im Zug nach Monino habe ich mich nachts bis zum frühen Morgen mit einem Jungen in meinem Alter unterhalten, wobei wir auch schnell auf das Thema Alkoholkonsum kamen. Ehrlich gesagt bin ich von den männlichen Russen hier positiv überrascht, denn im Gegensatz zu der Männerwelt in Wolgograd, die wirklich so unerträglich waren, dass ich meinte, meine Meinung über russische Männer nie wieder ändern zu können, hat man hier eher den Eindruck, hier gäbe es gar keine Machos!

Nach dem Ausfüllen in Einzelarbeit tauschten sich die SchülerInnen zunächst in Partnerarbeit aus (Partnerwahl nach Losprinzip, damit zusätzlich Austausch stattfindet auch mit denen, mit denen sie sonst weniger reden), um dann die Antworten des/der NachbarIn im Plenum (Stuhlkreis in einem der Blockhäuser) vorzustellen. Diese Gesprächsrunde war eine sehr schöne, weil die PartnerInnen jeweils sehr behutsam umgingen mit dem, was sie auch an persönlicheren Auskünften über den anderen mitteilten. (Von sich selbst und seinen Erfahrungen und Eindrücken direkt zu berichten wäre mit Sicherheit schwieriger geworden.)

Insgesamt muss man allerdings sagen, dass die SchülerInnen noch nicht besonders reif sind, vor allem nicht die Jungen, die taten sich insbesondere schwer mit so einer Reflexionsrunde; die meisten Mädchen waren so einer Diskussionsrunde gegenüber aufgeschlossener und schienen auch selbst Interesse an so einem Austausch zu haben, auch an ersten 'interkulturellen Reflexionen'.

Da sich aus diesem ersten Reflexionstreffen ergeben hatte, dass einige "die Russen" (die, denen sie bisher begegnet waren) "freundlich/ gastfreundlich/ höflich/ nett" etc., andere sie aber "unfreundlich, reserviert, aggressiv, zurückhaltend" etc. fanden, hier also offenbar ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht wurden (bzw. unterschiedlich wahrgenommen wurde, Eindrücke unterschiedlich gewichtet wurden, an verschiedene Situationen, Moskau - Monino gedacht wurde), und mehrfach der Hitlergruß etc. berichtet wurde, beschloss ich, das als Anlass für ein zweites Reflexionstreffen zu nehmen und gab drei weitere Fragen als "Hausaufgabe" (zum Nachdenken bis zum nächsten Tag) auf. (siehe zweites Reflexionstreffen).

5.5.2. Reflexionstreffen II

Nach dem ersten Reflexionstreffen fand dann abends auch noch der legendäre Dorfdiskobesuch statt, so dass das dann zum zusätzlichen Anlass wurde für eine zweite gemeinsame Analyse und Reflexion. Inzwischen war Sonja, eine der russischen Jugendlichen vom Moskauer Stadtspaziergang, in Monino angekommen. Sie erfuhr natürlich gleich von dem Diskobesuch des Vorabends, worüber ich mit ihr ins Gespräch kam, auch über die Frage, warum die russische Dorfjugend uns tatsächlich immer noch mit Hitler, Faschismus etc. in Verbindung bringt. Deshalb lud ich sie ein, an dem zweiten Reflexionstreffen teilzunehmen und so gewissermaßen die russische Seite zu vertreten. Sie nahm die Einladung gerne an. Die drei Fragen, über die die SchülerInnen nachdenken sollten, lauteten:

1.) Warum bringen die Russen uns mit Hitler in Verbindung?

2.) Warum erscheinen die Russen als reserviert, zurückhaltend, schüchtern, wenig kontaktfreudig?

3.) Warum finden einige von uns die Russen freundlich, andere unfreundlich?

(wobei darauf hingewiesen wurde, dass es nur um die Russinnen gehen kann, denen man begegnet ist und man aufpassen muss, nicht sofort zu verallgemeinern).

Hierbei bearbeiteten die SchülerInnen die Fragen direkt in Partnerarbeit (wiederum nach Losprinzip) und schrieben die Ergebnisse ihres Partneraustausches als Antworten auf. Es wurden folgende Antworten gegeben:

1.) Warum bringen die Russen uns mit Hitler in Verbindung?

- Vergangenheit noch nicht verarbeitet

- Russen denken Deutschland ist faschistisch > wollen Eindruck machen mit Hitlergruß

- Wegen den früheren Erlebnissen (2.Weltkrieg)

- Sind meistens nur die jungen Leute, da sie es in der Schule lernen

- 2. Weltkrieg, große Auseinandersetzung zwischen Russen - Deutschen, Jugend > sieht Russland als Sieger

- Vorgeschichte mit Hitler 2.Weltkrieg

- Auseinandersetzung mit Stalin und Hitler

- Aus geschichtlichem Anlass

2.) Warum erscheinen die Russen als reserviert, zurückhaltend, schüchtern, wenig kontaktfreudig?

- für die Russen hier ist es nichts besonderes, ausländische Gäste zu empfangen, demzufolge sind sie nicht so euphorisch wie die Dorfleute im Umkreis uns kennen zu lernen

- meistens nicht in unserem Alter

- kann nichts dazu sagen, weil ich nur freundliche Russen getroffen habe

- haben hier viel zu tun ? kann die Aussage nicht ganz bestätigen.

- Weil sie die deutsche Sprache nicht gut beherrschen

- Weil es uninteressant ist, mit den Deutschen zu kommunizieren

- üblich, im Dorf hat jeder selbst in seinem Haushalt genug zu tun, Sprache? > Verständigungsprobleme, kein großes Interesse

- Sprache, außerdem gibt es Menschen, die nicht so offen usw. sind

- Gehört evtl. zur Grundmentalität

- Wir sprechen zu wenig Russisch

- Müssen sich an uns gewöhnen

3.) Warum finden einige von uns die Russen freundlich, andere unfreundlich?

- einige können die Sprache, andere nicht?

- Einige fallen unangenehm auf?

- Weil einige von uns auch (un)freundlich sind!

- Sprachverständnis, Kulturunterschiede, Mentalität

- Weil einige die Sprache schlecht verstehen

- Abgesehen davon gibt es Antipathien

- Besoffen > aggressiv

Nach der Vorstellungsrunde der Ergebnisse ergab sich ein längeres, allgemeiner werdendes Gespräch zwischen Sonja, den SchülerInnen und mir (teils auf Russisch, teils auf Deutsch - ggf. übersetzung von den Muttersprachlerinnen und mir). Zur ersten Frage bestätigte Sonja die Einschätzung der SchülerInnen, dass die jungen Leute in der Gegend in der Schule lernen, dass Deutschland faschistisch war bzw. dass "Hitler und der Faschismus deutsch sind". Sonja wies außerdem darauf hin, dass das Bildungsniveau auf diesen Dörfern sehr niedrig ist. Auf meine Frage hin, was nach Einschätzung der SchülerInnen der Grund sein könnte, dass sich dieses einseitige, geschichtliche Bild von Deutschland und den Deutschen hier so lange gehalten habe, erarbeiteten die SchülerInnen im Gespräch ziemlich schnell, dass das daran liege, dass die Dorfjugend hier gar keinen Kontakt zu ausländischen (deutschen) Jugendlichen habe. Das bestätigte Sonja auch. Die SchülerInnen sagten, dass man zum Abbau von Vorurteilen eben reisen müsse bzw. Kontakte haben müsse zu Ausländern und dass ohne konkrete Begegnungen z.B. solche Bilder von Deutschen als Faschisten wie hier auf dem Dorf bestehen blieben.

In den Antworten zur zweiten Frage findet sich nur eine Antwort, die von "Grundmentalität" spricht, alle anderen gehen dem Erscheinungsbild auf den Grund, hinterfragen den Eindruck. D.h. dass die SchülerInnen hier offenbar nicht vorschnell geurteilt haben, dass sie eben nicht bei einem "ach, sie sind eben so" oder " die sind wohl so" oder "typisch russisch" stehen geblieben sind. Es werden hier also keine Zuschreibungen vermeintlich fester Merkmale/ Eigenschaften unternommen, sondern es wird nach den kontextuellen und situativen Faktoren gefragt. In Antworten wie "haben im eigenen Haushalt viel zu tun", "haben hier viel zu tun" und "müssen sich an uns gewöhnen" zeigt sich die Fähigkeit zur Empathie seitens der SchülerInnen. Sie können sich auch in die Lage der Moninoer versetzen.

Die Antworten zur dritten Frage zeigen wiederum nur einen Fall, bei dem in Kategorien wie "Kulturunterschiede, Mentalität" gedacht wird, wobei in der Antwort auch das "Sprachverständnis" enthalten ist. Diese Antwort ist nicht sehr logisch, denn auf die Frage, warum "einige von uns die Russen freundlich, andere sie unfreundlich finden" ergibt der Verweis auf Kulturunterschiede oder "Mentalität" keinen rechten Sinn, denn das hieße, dass zwischen uns Deutschen Kulturunterschiede und Mentaltiätsunterschiede vorhanden sind. (Im Sinne der eingangs beschriebenen "transkulturellen Identität" in der heutigen Gesellschaft könnte man das auch behaupten, aber das hat der Schüler hier mit Sicherheit nicht gemeint.) Die anderen Antworten zeigen, dass sich einige SchülerInnen "an die eigene Nase fassen". Sie suchen das Problem bei sich selbst, indem sie ihre mangelnden Sprachkenntnisse und ihr eigenen Auftreten (selbst unfreundlich zu sein) ansprechen. D.h. hier haben sie sich offenbar in die russische Sicht hineinversetzt und sich gefragt, wie sie ihrerseits auf die Russen wirken (mit denen sie zutun hatten). Im Sinne des Perspektivwechsels nach CHRIST könnte man hier sagen, dass die SchülerInnen den Blick des Anderen auf sich mit in die Betrachtung einbezogen haben; man kann hier einen ersten Funken im Hinblick auf kritische Selbstreflexion herauslesen.

Insgesamt kann man den Gesprächsverlauf und die einzelnen Antworten als erstes Anzeichen der Entwicklung von interkultureller Kompetenz bewerten: die SchülerInnen zeigten hier

6. DIE NACHBEREITUNGSZEIT

6.1. "Verbesserungstipps für eine nächste Reise"

Der erste Schritt zur Nachbereitung begann bereits auf der Rückfahrt im Zug von Moskau nach Berlin, wo ich den sich als sehr günstig erweisenden Einfall hatte, die SchülerInnen direkt nach möglichen Verbesserungsvorschlägen für die nächste Organisation einer Russlandklassenfahrt meinerseits befragte. Günstig war dieses Vorgehen deshalb, weil ich so (die lange Zeit der Zugfahrt nutzend) die Frische der Eindrücke ausnutzen konnte. (Der nächste Tag nach der Ankunft in Berlin war der letzte Schultag vor den Sommerferien, so dass eine andere Möglichkeit der direkten Rückmeldung durch die SchülerInnen nicht bestand.) Als günstig erwies sich außerdem meine allgemein gehaltene Formulierung: "Gebt mir bitte mal eure Tipps, wie ich so eine Reise das nächste Mal besser organisieren könnte!". Hätte ich die SchülerInnen mit "Wie hat euch die Reise gefallen?" befragt, wären mit Sicherheit nur sehr allgemeine Auskünfte gekommen wie "Joa, war ganz gut, ja, war schön, war anstrengend aber interessant" etc. Durch meine - spontan gewählte - Formulierung, hinter der außerdem das aufrichtige Interesse stand, wie man eine derartige Reise besser organisieren könnte, hingegen kamen sehr konkrete Verbesserungen und damit auch indirekt sehr aufschlussreiche Rückmeldungen über die erlebte Reise. Ihre erste Reaktion auf meine Bitte um Verbesserungsvorschläge war: "Oh ja, fahren wir nächstes Jahr wieder mit Ihnen nach Russland?!" Obwohl die Frage von mir gar nicht so gemeint war, fassten die SchülerInnen sie so auf. Worauf ich sagte, dass wir das gerne machen könnten. Daraufhin begann die Planung der nächsten Reise quasi direkt. (Daran hat sich auch in der weiteren Nachbereitung nach den Sommerferien nichts geändert; die meisten SchülerInnen und ich planen, nächsten Sommer wieder nach Monino zu fahren.)

Als Verbesserungsvorschläge für eine wiederholte Reise nach Monino (und Moskau oder Sankt-Petersburg) nannten die SchülerInnen verschiedene Aspekte:

a) bessere "Ausrüstung" mitzunehmen: eigenes Geschirr, Gummistiefel, "richtige" Regenjacken, Arbeitshandschuhe, mehr eigene Medikamente, Fleischkonserven aus Deutschland
b) mehr russische Jugendliche nach Monino einladen, mehr mit Russinnen zusammenarbeiten, direkt etwas für sie bauen (nicht einen Zaun für die Pferde und Kühe, eher einen Spielplatz oder Fußballplatz, oder in einem Haus renovieren) ihnen direkter helfen.
c) länger in Monino bleiben, länger in Moskau bleiben (oder das nächste Mal über Sankt Petersburg fahren und dort länger bleiben).
d) Ein richtiges großes Fest machen, wozu die Nachbardörfer alle eingeladen werden, mit Volkstänzen oder so!, richtig geplant und eingeladen!
e) Mehr sportliche Aktivitäten, z.B. große russisch-deutsche Fußballspiele (wovon es eins gab und ein zweites geplant war, auch auf Vorschlag der Russen, das dann aber wegen des Regens ins Wasser gefallen ist) oder Volleyballspielen (was den SchülerInnen angeboten wurde, es war sogar ein Netz und Ball vorhanden, aber dazu hatten sie dann doch nicht genügend Eigeninitiative...)
f) Sprachlich besser vorbereitet sein; im Unterricht würde man nicht das lernen, was man im Land zur Verständigung brauche (Wegbeschreibung, Lebensmittel, Zahlen, Begrüßung, sich vorstellen etc.) (selbstverständlich sind genau das die Unterrichtsinhalte jedes modernen Lehrbuchs, so auch von "Okno" mit dem die SchülerInnen seit Jahren arbeiten; aber da kannten sie noch nicht die authentische Kommunikationssituation und hatten also offenbar dementsprechend weniger Motivation, so dass sie die Inhalte sogar schon völlig vergessen haben...)

6.2. Gemütlicher Ausklang mit den Eltern und Geschwistern

Nach den Sommerferien, nachdem die ersten zwei Unterrichtswochen vorbei waren, organisierten die SchülerInnen und ich einen "gemütlichen Abend" in der Schule für die Eltern und Geschwister. Es gab ein russisch-deutsches Büffet, russische Musik (die die Schüler in Moskau gekauft hatten), der Videofilm, den ein Schüler gemacht hatte, wurde gemeinsam angeschaut, alle hatten ihre Fotoalben dabei, zwei SchülerInnen haben auch ein Fotoplakat gestaltet. Der Abend war bewusst 'locker' und 'offen' gestaltet von mir. So habe ich beispielsweise zwei Schülern die einleitenden Worte überlassen, und die Tische wurden absichtlich "in Kleingruppen" arrangiert. Damit wollte ich es ermöglichen, mit den Eltern (und SchülerInnen) jeweils zu persönlicheren Gesprächen zu kommen, und nicht eine große Runde zu bilden. So habe ich mich dann im Verlauf des Abends immer wieder zu anderen Tischgruppen, d.h. Elternpaaren mit an den Tisch gesetzt und habe von dem einen oder anderen erfahren, was die SchülerInnen zuhause von der Reise berichtet haben. So erfuhr ich beispielsweise von Roberts Mutter, dass sie beim Waschen der Reisewäsche von Robert ein paar Socken entdeckt hat, dass in einer Extratüte verpackt war. Auf ihre Nachfrage hin erzählte er ihr dann die Geschichte der russischen Fieberheilmethode (Zitronenscheiben an den Fersen in die Socken zu stecken), die er an eigenem Leibe erfahren hatte. Inkas Mutter erzählte mir auf meine Nachfrage hin, was Inka "denn so zuhause" zuhause erzählt hätte: "Ach, die kriegt ja schon Tränen in die Augen, wenn sie nur "Monino" hört!" Und Julians Mutter war ganz begeistert darüber, dass Julian tatsächlich die Musik in Moskau ausfindig machen und kaufen konnte, die ihm sein älterer Bruder vor der Reise empfohlen hatte ("dass das dann so geklappt hat, toll!"). [ 50]

6.3. Erlebnisberichte

In mehreren Unterrichtsstunden (ich unterrichte die SchülerInnen weiterhin in einer Gruppe) fand zunächst ein lockerer Austausch von gemeinsamen Erinnerungen an all die Erlebnisse der Fahrt statt. Einige Ereignisse sind inzwischen schon zu fast legendären Geschichten avanciert, andere Anekdoten wurden immer wieder gerne aufgewärmt. Die gesamten ersten Nachtreffen zeichneten sich durch eine große Emotionalität seitens der SchülerInnen aus. Sie waren so überschwänglich, aufgedreht, fast euphorisch, dass sie gar nicht wussten, wohin mit ihrer ganzen Erzählenergie bzw. sie wirkten so, als ob sie verbal nicht hinter dem Erlebten 'hinterher kommen', als ob sie nicht genügend oder die richtigen Worte für ihre ganzen Eindrücke finden.

Einerseits freute ich mich zwar über so viel Emotionalität, andererseits sah ich keine Möglichkeit, eine reflektorischere Ebene mit den SchülerInnen zu erreichen. Aber ich sah auch, dass sie offenbar fast so etwas wie einen 'angestauten Gefühlsberg' hatten, u.U. bedingt durch die Sommerferien direkt im Anschluss an die Reise. Ich war der Meinung, dass sie den 'Gefühlsstau' auch irgendwie loswerden können müssten. Um aber dennoch in irgendeiner Weise eine wenigstens etwas reflektorischere Ebene zu erreichen, versuchte ich bei einem Treffen die SchülerInnen freie Assoziationen auf im Raum aufgehängte Plakate zu den interkulturell relevanten Situationen der Reise schreiben zu lassen. Das hat überhaupt nicht funktioniert, sie haben nur alberne Witze auf die Plakate geschrieben. Diese Schüler - vor allem die Jungen - wirken für ihr Alter noch recht unreif und taten sich ja auch schon bei dem Reflexionstreffen in Monino schwer, sich auf eine ernsthafte Diskussion in der Gruppe einzulassen. So kam ich auf die Idee, die SchülerInnen, wenn entweder der Zeitpunkt oder das Alter noch nicht reif genug war für eine Gruppendiskussion, persönliche Erlebnisberichte schreiben zu lassen über ein Erlebnis/ eine Situation ihrer Wahl. Dabei sind teilweise sehr persönliche, ernsthafte Erlebnisberichte entstanden. In dieser individuellen, schriftlichen Form hatten die Schüler offenbar weniger Probleme, 'etwas von sich preiszugeben', etwas persönliches von sich zu zeigen. Abgesehen von den in der Arbeit bereits zitierten Erlebnisberichten, wurden von mehreren Jungen Erlebnisberichte von der handwerklichen Arbeit geschrieben, die Mädchen berichten über Verschiedenes. [51]

6.4. Wirkungen/Folgen der Fahrt

6.4.1. Kurzvortrag auf der Gesamtkonferenz

Drei Schüler hielten einen Kurzvortrag (ca. 15 min) über die Reise. Das soll hier nur deshalb Erwähnung finden, weil einige LehrerInnen mich hinterher ansprachen und sagten, sie wären ganz positiv überrascht gewesen von Maik und Janek, dass die sich nämlich so selbstbewusst da vorne hingestellt und vor versammelter Lehrerschaft (ca. 85 Personen) frei vorgetragen hätten. (Ihr Vortrag war recht vergnüglich ausgefallen, da sie absichtlich mehrere Anekdoten der Reise erzählt haben.) Man könnte die Vermutung wagen, dass diese Reise mit ihren interkulturellen und sozialen Komponenten einen Zuwachs an Selbstvertrauen bewirkt habt, der sich bei Maik und Janek hier unmittelbar bemerkbar machte.

6.4.2.Niederschlag im Sprachunterricht

Es ist ein deutlicher Zuwachs an Motivation im Russischunterricht bemerkbar. Den Wunsch aus den Verbesserungsvorschlägen der SchülerInnen nach "besserer sprachlicher Vorbereitung" für einen Auslandsaufenthalt und nach der Wiederholung der grammatikalischen Grundlagen (die der Rahmenplan für die elfte Klasse sowieso vorsieht) bin ich bei der Unterrichtsplanung nachgekommen: die SchülerInnen erarbeiteten sich selbstständig in Gruppenarbeit die verschiedenen grammatikalischen Gebiete und hielten didaktisierte (!) Vorträge von jeweils 45 min (!). Die Gruppe, die sich das Thema "Sprechen" gewählt hat, griff Situationen der Reise auf, in der sie sprachlich nicht zurecht kamen ("kennen lernen/ Smalltalk", "Einkaufen/ Handeln"," im Restaurant/ in der Kneipe etwas bestellen" und "Hören/ Verstehen"). Die SchülerInnen arbeiteten engagiert und motiviert in den Gruppen und hielten sehr gute Vorträge, was ganz sicher vor der Reise nicht gewesen wäre.

6.4.3. Geplanter Inforaum am Tag der Offenen Tür

Im Januar 2003 findet an der Max-Reinhardt-Oberschule ein Tag der Offenen Tür statt, bei dem die SchülerInnen und ich einen Informationsraum über die Russlandfahrt planen. Julian will bis dahin den Videofilm professionell schneiden, damit er dann öffentlich gezeigt werden kann, es soll eine richtige Fotowand entstehen, bei der man die Chronologie der Reise nachvollziehen kann, und es werden Informationen über das Kinderdorfprojekt und die Fahrt gegeben.

6.4.4. Planung einer erneuten Fahrt nach Monino

Die meisten SchülerInnen der Fahrt und ich planen im nächsten Sommer eine erneute Reise nach Monino, die dann in den Sommerferien stattfinden soll, damit wir mehr Zeit zur Verfügung haben, da das Einleben in Monino alleine fünf Tage dauert. Bei dem Elternabend haben zwei Elternpaare Interesse bekundet, auch mit fahren zu wollen, und der ältere Bruder von Tobias, der eigentlich schon dieses Jahr mitgefahren sein wollte, will beim nächsten Mal auch unbedingt dabei sein.

7. KRITISCHE GESAMTREFLEXION

Zunächst muss konstatiert werden, dass die Theorie weit hinter der Praxis zurückbleibt. Bei einer ersten Fahrt nach Russland von zwei Wochen kann nicht davon gesprochen werden, dass Interkulturelle Kompetenz entwickelt wurde.

ABER: kleine erste Schritte, aufgezeigt anhand des Stufenmodells von NICKLAS, sind auf dem Weg zur Entwicklung von Interkultureller Kompetenz doch feststellbar. So war eine Offenheit für "das Fremde" auf jeden Fall vorhanden, die Andersartigkeit wurde als solche akzeptiert, und es haben sich erste Ansätze von Empathie und Perspektivwechsel gezeigt.

Sehr deutlich bestätigte sich die These von NICKLAS, dass interkulturelles Lernen eine Form des sozialen Lernens ist: die soziale Kompetenz ist nicht nur durch der Auseinandersetzung mit Kirjuscha, sondern auch innerhalb der Gruppe gewachsen. Anfangs dachten die SchülerInnen vor allem an ihren eigenen Vorteil und rechneten beispielsweise ihre verschiedenen Arbeitsleistungen gegeneinander ab. Am Ende des Aufenthaltes in Monino zeigten sich die SchülerInnen hingegen als zusammengewachsene Gruppe mit sozialem Bewusstsein für einander. Arbeitsabläufe (Kochdienst, Zaunbau) funktionierten gut und ergänzten sich und gesunde SchülerInnen kümmerten sich um die zwischenzeitlich erkrankten. Eine "Erhöhung der sozialen Kompetenz und der zwischenmenschlichen Fähigkeiten" (NICKLAS, S. 40) hat definitiv stattgefunden.

Die eingangs zitierte, von THOMAS als Resultat von interkulturellen Begegnungen beobachtete, "Zunahme von Selbstvertrauen" hat sich nicht nur bei Maik, Janek und Julian bei der Gesamtkonferenz gezeigt. Auch bei anderen SchülerInnen habe ich den Eindruck, dass sie durch diese weitreichende Erfahrung persönlich gewachsen sind. Die von mir als weiteres Ziel formulierte "Erschütterung des nicht hinterfragten Selbstverständnisses" kann vor allem bei Inka vermutet werden. Ihr Bericht von der Erfahrung mit Kirjuscha (und die Auskunft ihrer Mutter, sie bekäme Tränen in die Augen, "wenn sie nur Monino höre"), weisen darauf hin, dass Inka auf der Fahrt einschneidende Erfahrungen gemacht hat. ähnliches lässt sich bei Kevin mit seiner Erfahrung von der Zugfahrt, der Hochzeit, dem 'Milchholen' und von der 'Dorfdisco' vermuten.

Die für die Nachbereitung geplanten "weiteren Reflexionen" haben bisher kaum stattgefunden. Das hängt einerseits damit zusammen, dass die SchülerInnen, vor allem die Jungen, noch relativ unreif wirken. Andererseits erscheint der Zeitpunkt für eine "Anhebung" der gemachten Erfahrungen auf eine Metaebene als zu früh. Die SchülerInnen sind noch so emotional betroffen, dass eine verallgemeinernde Reflexion erzwungen wirken würde. Der Zeitpunkt muss später liegen, die intensiven Erfahrungen müssen meines Erachtens nach noch länger 'verdaut' werden. Das Verhältnis von Metaebene und 'interkulturellem Input' sollte nicht asymmetrisch verlaufen; es ist fraglich, ob eine einzelne Fahrt überhaupt ausreicht, um interkulturelle Reflexionen zu unternehmen.

Ferner ist ZEUTSCHEL der Auffassung, "dass ein solcher Lernprozess auch weitgehend unbewusst vollzogen werden kann" (S. 187), und es einer in vielen Modellen zum interkulturellen Lernen als notwendig beschriebenen Metakommunikation nicht unbedingt bedürfe (vgl. ebd.). Seiner Meinung nach vollzieht sich "die Tätigkeit von Mentoren dementsprechend zwischen bewusster und gezielt einsetzender pädagogischer Intervention einerseits und dem bloßen "Vorhandensein" als fremdkulturelles Verhaltensmodell andererseits." (ebd.) Die Erfahrung der besonderen Bedeutung von der 'interkulturellen Vermittlung' habe ich als Begleiterin auf dieser Fahrt gemacht. Ich war fast ständig vermittelnd tätig und mein Verhalten wurde von den SchülerInnen vielfach als Beispiel übernommen.

Als Organisator der Fahrt schuf ich den Rahmen für interkulturelle Lernmöglichkeiten seitens der SchülerInnen; welche Erfahrungen sie allerdings tatsächlich machten, lag in ihren eigenen Händen. In dem Maße, wie sie sich öffneten und auf die andere Lebenswelt einließen, stieg die Intensität ihrer Erfahrungen.

Auf die eingangs gestellte Frage, wie man überhaupt interkulturelles Lernen bewirken kann, muss ich sagen, dass die TeilnehmerInnen intensivere Erfahrungen des interkulturellen Austausches gemacht hätten, wären in Monino mehr gleichaltrige Russinnen gewesen, mit denen sie die Hauptzeit in gemischt-kulturellen Gruppen verbracht hätten (Arbeit, Kochen, Lagerfeuer etc.). Das ist bei der Organisation einer nächsten Schülerreise ins Ausland unbedingt zu versuchen.

Aber auch ohne die tägliche Zusammenarbeit in russisch-deutschen Gleichaltrigengruppen haben die SchülerInnen auf dieser Fahrt einen hautnahen Einblick in das russische Alltagsleben auf dem Land gewonnen und sich selbst bewiesen, dass sie in diesen gänzlich anderen Lebensbedingungen zurecht kommen. Sie haben regelrecht eine Bewährungsprobe bestanden. Ich denke, dass in jedem Fall eine Horizonterweiterung stattgefunden hat. Interkulturelle Lernerfolge sind nicht direkt messbar, aber mit den Erlebnisberichten der SchülerInnen ist eine Form gefunden worden, die es vermag, "die Erfahrungen von jungen Teilnehmern besser zu beschreiben" (MÜLLER, S. 178), da sie individuelle Rückmeldungen der verschiedensten Art zulassen.

Das "selbst-entdeckende" Kennenlernen der Stadt Moskau hat sich als erfolgreiche Planung erwiesen: die SchülerInnen haben "großes persönliches Engagement" aufgebracht und zeigten einen "hohen Grad emotionaler Betroffenheit". Zeichen, die für THOMAS (S. 35) auf die Nachhaltigkeit der Wirkung interkultureller Lerneffekte schließen lassen. Wie stark die emotionale Beteiligung fast drei Monate später bei den SchülerInnen noch ist, zeigt sich fast in jeder Russischstunde. Immer wieder werden Begebenheiten, Anekdoten, Sprüche etc. von der Reise angeführt. Bei Nachfragen seitens der SchülerInnen, die nicht in Monino waren, werden Erklärungsversuche unternommen, die häufig mit den Worten enden: "ach, das kann man irgendwie nicht erklären".

Auf dieser Fahrt wurden die ersten kleinen Schritte zur Entwicklung von interkultureller Kompetenz gemacht. Als lebenslanger Lernprozess sind auf diesem Weg noch viele Schritte zu gehen.

8. Literaturverzeichnis

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Bundeszentrale fur politische Bildung (2000): "Interkulturelles Lernen. Arbeitshilfen fur die politische Bildung", Bonn

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Christ, Herbert (1996): "Fremdverstehen und interkulturelles Lernen" , In: Zeitschrift fur Interkulturellen Fremdsprachenunterricht (Online), 1(3), 20 pp. Available: http.//www.ualberta.ca/~german/ejournal/christ.htm

Ertelt-Vieth, Astrid (1999): "Deutsche sind strenger... Die interkulturelle Dimension", In: Uniprisma 18 (1999), S. 10f.

Ertelt-Vieth, Astrid (2002): Serie "Begegnungen" (Teil 13). "Checkliste fur interkulturelle Begegnungen". In: Fremdsprachenunterricht 2 (2002), S. 127f.

Ertelt-Vieth, Astrid (voraussichtlich 2002): "Schulerbegegnungen und Schuleraustausch", In: Busch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jurgen (Hrsg.) (1995) (4. Aufl.): Handbuch Fremdsprachenunterricht, Tubingen (Imprimatur), 2 pp.

Hu, Adelheid (1997): "Warum Fremdverstehen? Anmerkungen zu einem leitenden Konzept innerhalb eines 'interkulturell' verstandenen Sprachunterrichts", In: Bredella, Lothar/ Christ, Herbert/ Legutke, Michael K.(Hrsg.) (1997): Thema Fremdverstehen, Tubingen S.34-55

Krumm, Hans-Jurgen (1995): "Interkulturelles Lernen und interkulturelle Kommunikation", In: Busch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jurgen (Hrsg.) (1995) (3. Aufl.): Handbuch Fremdsprachenunterricht, Tubingen, S. 156-161

Landesinstitut fur Erziehung und Unterricht Stuttgart (1994): "Zusammenarbeit mit Schulen in Mittel- und Osteuropa. Handreichung zum Schuler- und Lehreraustausch. Russische Republik, Kasachische Republik, Ukrainische Republik", Stuttgart

Muller, Burkhard (1998): "Was bleibt hangen? Alltagserfahrungen und internationale Begegnungssituationen", In: Colin, Lucette/ Muller, Burkhard (Hrsg.) (1998): "Europaische Nachbarn - vertraut und fremd. Padagogik interkultureller Begegnungen", Frankfurt/ New York, S

Nicklas, Hans (1998): "Thesen zum interkulturellen Lernen", In: Colin, Lucette/ Muller, Burkhard (Hrsg.) (1998): "Europaische Nachbarn - vertraut und fremd. Padagogik interkultureller Begegnungen", Frankfurt/ New York, S. 39-44

Nixdorf, Nina (2002): "Hoflichkeit im Englischen, Deutschen, Russischen. Ein interkultureller Vergleich am Beispiel von Ablehnungen und Komplimenterwiderungen", Marburg, Univ. Diss.

Padagogischer Austauschdienst (1997): "Schulpartnerschaften zwischen Ost und West. Anregungen, Beispiele, praktische Hinweise", Bonn

"Schilfblatt" (1998), Heft 7/8: "Interkulturelle Bildung und Erziehung", herausgegeben vom Berliner Institut fur Lehrerfort- und -weiterbildung und Schulentwicklung (BIL), Berlin

Schneider, Martin (1997): "Interkulturelles Lernen im Russischunterricht", In: Fremdsprachenunterricht (fsu) 41/50 (1997), S. 162-165

Fußnoten

  1. Ein Schüler zu einem Mitschüler, der nicht mitgefahren ist, nach der Reise über Monino.
  2. Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport des Landes Berlin: "Handreichung für Lehrkräfte an Berliner Schulen. Interkulturelle Bildung und Erziehung", 2001, S.6. Die Handreichung bezieht sich auf die KMK-Empfehlung vom 25.Oktober 1996 "Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule". (Im Folgenden: SVS)
  3. Vgl. ebd. S.7
  4. Vgl. SVS, S.28ff.
  5. Die Entwicklung der Sprechakttheorie nach den Sprachphilosophen Searle und Austin führte dazu, dass sprachliche Äußerungen als sprachliche Handlungen begriffen wurden. Die entstehende Pragmatik als Teilgebiet der Linguistik widmet sich dem angemessenen Gebrauch der Sprache in konkreten Kommunikationssituationen (Sprecher, Hörer, soziale und kontextuelle Faktoren). Vgl. die Zusammenfassung der Entwicklung der Sprechakttheorie bei Nina Nixdorf (2002): "Höflichkeit im Englischen, Deutschen, Russischen. Ein interkultureller Vergleich am Beispiel von Ablehnungen und Komplimenterwiderungen", S.17ff.
  6. Vgl. ebd. S.29
  7. Prozentangaben aus: "Schilfblatt", Heft 7/8, 1998, herausgegeben vom Berliner Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung und Schulentwicklung (BIL), S.16
  8. Vgl. SPIEGEL 20/2002, S.99: Sieben Thesen zur "neuen deutschen Bildungskatastrophe", Erste These: "Zu wenig Integrationsdruck auf nichtdeutsche Schüler". "Die fatale Entwicklung begann, erstens, mit der Weigerung konservativer Politiker, dem Volk einzugestehen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist."
  9. siehe SVS, S.30
  10. ebd., dort zitiert aus: "Schilfblatt", Heft 2, 1996, S.57: Wolfgang Welsch: "Transkulturalität - Zur Verfassung heutiger Kulturen".
  11. Vgl. "Handbuch Fremdsprachenunterricht" (1995), H.-J. Krumm: "Interkulturelles Lernen und interkulturelle Kommunikation", S.156ff.
  12. Vgl. ebd., S.157
  13. Vgl. ebd. S.157f.
  14. Herbert Christ: "Fremdverstehen und interkulturelles Lernen", 1996, In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht (Online), 1(3), S.2
  15. ebd.
  16. Adelheid Hu: "Warum Fremdverstehen? Anmerkungen zu einem leitenden Konzept innerhalb eines 'interkulturell' verstandenen Sprachunterrichts", In: Bredella et al. (1997): "Thema Fremdverstehen", S.36
  17. ebd., S.11
  18. Schäfter (1997): "Das Eigene und das Fremde. Lernen zwischen Erfahrungswelten.", zitiert in: "Interkulturelles Lernen. Arbeitshilfen für die politische Bildung", Bundeszentrale für politische Bildung, 2000 (1998), S.20. Im Folgenden: "BPB"
  19. Welsch (1996), zitiert in SVS, S.30
  20. BPB, S.21
  21. BPB, S.22
  22. Hans Nicklas: "Thesen zum interkulturellen Lernen" (1998), In: Lucette Colin, Burkhard Müller (Hg.): "Europäische Nachbarn - vertraut und fremd; Pädagogik interkultureller Begegnungen." S.40
  23. siehe ebd.
  24. ebd. S.41
  25. ebd. S.42
  26. ebd. S.43-45, fettgedruckt sind jeweils die, die bei der durchgeführten Reise relevant waren.
  27. Vgl. Christ (1996) ebd., S.2ff.
  28. Alexander Thomas (Hg.) (1988): "Interkulturelles Lernen im Schüleraustausch", S.80
  29. ebd. S.89
  30. ebd. S.90
  31. ebd. S.80
  32. Keller 1979, zitiert bei Krumm ebd. S.158
  33. Vgl. auch Thomas, S.79: "Die Kulturkontakt-Hypothese, nach der angenommen wird, dass Menschen verschiedener Kulturen, die sich häufig begegnen, ihre gegenseitigen Vorurteile abbauen und gleichsam von selbst zu einem besseren Verständnis der jeweils fremden Kultur finden, wird allgemein als erwiesen angesehen, obwohl sozialpsychologische Studien aus dem Bereich der Vorurteils- und Stereotypenforschung erhebliche Zweifel an ihrer Gültigkeit aufkommen lassen."
  34. Vgl. Thomas, S.93ff.
  35. Burkhard Müller (1998): "Was bleibt hängen? Alltagserfahrungen und internationale Begegnungssituationen", In: Colin/ Müller (Hg.) ebd. S.177f.
  36. Thomas (1988) betont, dass Verarbeitungshilfen durch den Lehrer nur lernwirksam sind, wenn sie zeitlich kurz nach dem Erlebnis erfolgen. Vgl. S.40f.
  37. Abgesehen von dem Phänomen des "Kulturschocks" gibt es auch eine Erscheinung, die als "Re-entry-schock" bezeichnet wird. Damit sind die u.U. viel größeren Schwierigkeiten gemeint, die das Wiedereinleben nach einem (längeren) sehr eindrucksvollen Auslandsaufenthalt mit sich bringen kann, da man sich von Familie und Freunden unverstanden fühlt, weil man die gesammelten vielen neuen Erfahrungen nicht in Worte fassen kann.
  38. Diese Unterscheidung gibt es in Russland nicht, eher werden alle Menschen, die irgendwie der sozialen Norm nicht entsprechen in sogenannte "Internaty" gesteckt, in denen untragbare Verhältnisse herrschen (barfuss im Schnee stehen als Strafe, Verabreichung von weltweit verbotenen Tranquilizern etc.). Aus dieser Erfahrung heraus hatten die beiden Russinnen Aljona und Mascha vor 15 Jahren das Projekt eines alternativen Kinderdorfes "Monino" gegründet.
  39. Klett Verlag (1997): "Сюрприз" ("Surprise, Überraschung"), "Книга для чтения", Полина Роскошная ("Lesebuch", Polina Roskoschnaja).
  40. So begrüßt Hans etwa den Taxifahrer erst mal höflich und fragt, wie es ihm geht, wohingegen der Fahrer gleich zur Sache kommt und wissen will, wohin Hans fahren möchte. Auf der Fahrt sprechen sie über die Tatsache, dass in Moskau jetzt auch BMW, Mercedes und Volvos zu sehen sind und alle russischen Jugendlichen am liebsten so ein Auto von ihrem Vater geschenkt bekommen möchten. Hans entgegnet, dass sein Vater der Meinung ist, er müsse sich ein Auto selbst verdienen. Bei dem russischen Ehepaar dann füllt die Frau Hans besonders viel Essen auf den Teller und fordert ihn auf: "Iß, iß, mein Junge!" und Hans fragt verwundert, ob das bei den großen Mengen ein Frühstück sein soll. Die Russen fragen ihn über seine Wohnsituation aus und sind verwundert zu erfahren, dass Hans eigenständig in einer Wohngemeinschaft wohnt und in den Semesterferien jobben geht, um die Miete zu finanzieren. (In Russland wohnen Studenten weiterhin mit ihren Eltern in den staatlich zugeteilten Wohnungen, da neu gemietete Wohnungen zu teuer sind und Neuzuteilungen nur bei Familiengründung erfolgen.) Das russische Elternpaar lobt Hans als besonders selbständigen jungen Mann. Später unterhält Hans sich mit dem Sohn, Mischa, der ihn über das "Business" in Deutschland ausfragt, ob er ihm nicht irgendetwas verkaufen könne, das Hans dann in Deutschland weiterverkaufen könnte. Der erstaunte Hans versucht ihm zu erklären, dass seine Bekannten und Freunde eigentlich alles hätten, was sie bräuchten und er ihnen deshalb nichts verkaufen könne. Mischa kann nicht glauben, dass es Menschen gibt, die alles haben, was sie brauchen.
  41. Entnommen aus dem Artikel: "Interkulturelles Lernen im Russischunterricht" von Martin Schneider, In: Fremdsprachenunterricht (fsu) 41/50 (1997), S.162-165.
  42. Die Aufgabe lautete: "Schreibt einen Erlebnisbericht über eine bestimmte Situation oder ein Erlebnis der Reise. Das darf ruhig emotional sein und ihr könnt das auch z.B. als fiktiven Brief aus Monino an eine Freundin/ einen Freund schreiben." Die Aufgabe war bewusst so locker und weit gestellt, damit die SchülerInnen möglichst frei und authentisch aus ihrer Perspektive schreiben. Die Ergebnisse sind tatsächlich sehr individuell, teils sehr persönlich, teils mit ironischen Übertreibungen. Alle haben zu meiner großen Freude über unterschiedliche Situationen geschrieben. (Einige haben sich wohl auch abgesprochen, welche Situationen schon beschrieben wurden und welche noch fehlen).
  43. Hierbei hat es sich zwar um eine "deutsch-russische Situation" gehandelt, aber der Unterschied 'älterer Mann - junges Mädchen' hat hier natürlich eine mindestens genauso große Rolle gespielt. Aber Inka hat den Schaffner sicher vor allem als 'besoffenen Russen' wahrgenommen.
  44. NICKLAS (S.44) zur Erläuterung der Fähigkeit: "Wir wollen immer Rezepte, genau festgelegte Regeln. Nur dann fühlen wir uns sicher. Neue Erfahrungen sind aber nur möglich, wenn wir uns experimentierend dem anderen nähern."
  45. Außerdem lässt sich an diesem Bericht gut ablesen, wie der Kontakt zu einer Russin entstanden ist.
  46. Ulrich Zeutschel (1988): "Die Rolle von Mentoren im interkulturellen Lernprozess", In: Thomas (ebd.), S.183
  47. Da die Gegend von Monino, Chotilize etc. sehr abgelegen und einsam ist, sind in der "Dorfdisko" von Chotilize wahrscheinlich noch nie irgendwelche Ausländer gewesen, die Bewohner von Monino, die Russinnen aus Moskau und ich selbst auch nicht. Die Moskauer und Moninoer würden auch niemals auf die Idee kommen, dorthin zu gehen, da der Bildungsunterschied, das soziale Gefälle etc. zwischen den 'normalen' Dorfbewohnern aus der Umgegend und den sozial engagierten (Moskauer) Moninoern sehr groß ist. Über die Jahre sind freundschaftliche Kontakte gewachsen, aber zur 'Dorfdisko' würden die Moninoer nicht gehen.
  48. Zu "deutsche Faschisten" und Hitlergruß vgl. Kapitel "Reflexionstreffen".
  49. Ulrich Zeutschel (1988): Zur Rolle von "Mentoren" im interkulturellen Lernprozess, In: THOMAS (ebd.), S.197f.
  50. Diese spezielle Band war auch der Mutter ein Begriff, weil der ältere Bruder für die Band (in Berlin) in einer Medienfirma ein Video produziert hatte.
  51. Tobias: wie er sich im Wald beim Bäume fällen mit der Axt ins Bein gehackt hat; Julian: wie er sich freiwillig den halben Nachmittag an einem nicht aus der Erde kommen wollenden Zaunpfahl abgemüht und ihn dann doch "besiegt" hat; Robert bezweifelt in seinem Bericht die Sinnhaftigkeit und Haltbarkeit des nur halb fertig gebauten Zaunes; Janek und Maik berichten, wie sie die Trinkwasserquelle von Gebüsch und Steinen befreit haben und einen großen Kanister voll mit Wasser den Berg raufgeschleppt haben. Svetlana schreibt begeistert über die russische Banja (das Sauna-Waschhaus); Janine berichtet, wie die Direktorin in der Moskauer Schule Zsofies und ihr lautes Singen in der Turnhalle mitangehört hat und ihr das peinlich war; und Zsofie hat eine "Spuk-Geschichte" fantasiert über eine Suppe mit magischen Kräften...

Inhalt

1. EINLEITUNG

1. 1. Relevanz des Themas
1. 2. Das russische Kinderdorfprojekt "Monino"
1. 3. Aufbau der Arbeit

2. THEORETISCHER HINTERGRUND
2. 1. Geschichte des Begriffs Interkulturelle Kompetenz
2. 2. Bedeutung für den Fremdsprachenunterricht
2. 3. Veränderte gesellschafts-politische Situation
2. 4. "Eigenes" vs. "Fremdes"

3. ANSATZ FÜR DIE REISE
3. 1. Mögliche Ansätze für das interkulturelle Lernen auf einer Schülerreise
3.1.1. Ansatz von NICKLAS
3.1.2. Ansatz von CHRIST
3.1.3. Ansatz von THOMAS
3.1.4. Arbeit mit Fragebögen
3.1.5. Das Problem der Messbarkeit
3. 2. Konkreter Ansatz für die Reise
3.2.1. Analyse von Situationen
3.2.2. Vermittlungsarbeit
3.2.3. Schülergemäße Besichtigungen
3.2.4. Projektarbeit
3.2.5. Nachbereitung
3. 3. Tabellarischer Überblick über den geplanten Ablauf

4. DIE VORBEREITUNGSZEIT
4.1. Organisatorische Voraussetzungen
4.2. Konkrete inhaltliche Vorbereitung

5. DARSTELLUNG UND ANALYSE
5.1. Tabellarischer Überblick der durchgeführten Reise
5.2. Analyse ausgewählter Situationen
5.2.1. das "Ungewohnte"
5.2.2. "Das andere als anders akzeptieren"
5.2.3. "Fähigkeit zu experimentierendem Verhalten"
5.2.4. "Angstfreiheit vor dem Fremden"
5.2.5. "Die Fähigkeit, Konflikte auszutragen"
5.2.5.1. "Gemischtkulturelles Kochen"
5.2.5.2. "Dorfdisco"
5. 3. Weitere Situationen
5.3.1. Das Lagerfeuer
5.3.2. Der Stadtspaziergang
5. 4. Die besondere Rolle der Vermittlung
5.4.1. Zugfahrten
5.4.2. Kartenspielen
5. 5. Die Reflexionstreffen
5.5.1. Reflexionstreffen I
5.5.2. Reflexionstreffen II

6. DIE NACHBEREITUNGSZEIT
6. 1. "Verbesserungstipps für eine nächste Reise"
6. 2. Gemütlicher Ausklang mit den Eltern und Geschwistern
6. 3. Erlebnisberichte
6. 4. Wirkungen/ Folgen der Fahrt
6.4.1. Kurzvortrag auf der Gesamtkonferenz
6.4.2. Niederschlag im Sprachunterricht
6.4.3. Geplanter Inforaum am Tag der Offenen Tür
6.4.4. Planung einer erneuten Fahrt nach Monino

7. GESAMTREFLEXION

8. Literaturverzeichnis

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